30.07.08

Wilhelm Ruprecht Frieling

Der Raub der Gallenblase

Vorspiel

Auf dem Gang krakeelt ein Alter, der seit Tagen raus will. Er schlägt mit seiner Gehhilfe um sich, tritt nach dem weiblichen Personal und lamentiert, er wolle wieder nach Hause. Seit Tagen geht das so. Kurzzeitig wurde der Knabe zwar mal sediert, doch stets bricht sein Unmut wieder mit frischer Kraft aus ihm hervor.

Ich schlurfe auf den Flur und frage ihn unwirsch, ob er überhaupt wisse, wo er sei. Er hockt, bis auf einen winzigen Slip splitterfasernackt, in einem Rollstuhl und winselt. »Ich will hier raus. Die behandeln mich schlecht«. - Von schlechter Behandlung könne nun wirklich keine Rede sein, erwidere ich. Das Gegenteil sei der Fall. Alle gäben sich die größte Mühe. Einzig seine krächzenden Soli und sein nächtlicher Klingelterror machten Beschäftigten wie Patienten das Leben schwer. Eingeschüchtert rudert er in sein Zimmer zurück. Für eine Weile schöpfen alle Anwesenden Kraft aus der Stille.

1. Akt

Das Universitätskrankenhaus Benjamin Franklin ist weitläufig und verwinkelt wie eine Kathedrale. Die Entfernung der Gallenblase sei das tägliche Brot des Chirurgen, hatte mir eine befreundete Ärztin gesagt. Eine Assistentin deutet mir an, »normalerweise« würden solche Eingriffe in jedem Allerweltskrankenhaus gemacht, eine Uniklinik sei auf komplizierte Fälle spezialisiert.

Pardonnez moi, Madame. Es ist zwar nur die Gallenblase, die ich loswerden will. Doch als zufriedener Kunde werde ich bestimmt bei Gelegenheit wieder gern die Dienste des Hauses in Anspruch nehmen, antworte ich beschämt und bekomme ein schneeweißes Bett zugeteilt.

In einer Illustrierten lese ich, dass eine Hollywood-Berühmtheit 32.000 Dollar allein für ihre Verköstigung im Krankenhaus einplant und dazu eigenes Küchenpersonal einfliegt. Ich verfüge über einen Beutel mit frischem Obst, das muss reichen. Auf Leibwächter, Chauffeure, Maskenbildner und andere dienstbaren Geister verzichte ich und komme lieber inkognito.

Dennoch interessiert mich der Speiseplan meiner neuen Herberge. Soll ich nun Ovo-lacto-vegetarische oder elektrolytdefinierte Kost wählen? Der »Kinderhit« würde mich reizen, da gibt es Hähnchennuggets und Rostbratwürstchen, jedoch leider nur für die Kinderstation. Vielleicht hätte ich doch meinen eigenen Koch mitbringen sollen? Oder ich schleiche mich auf die Kinderstation und mopse einen Teller. Da wird mir erklärt, dass ich nach der Operation hungern müsse. Soweit ist es also mit den Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen gekommen!

2. Akt

Dass Berlin arm aber sexy ist, erfahre ich nach dem Eingriff. Zuvor hatte mir ein Mitarbeiter noch verraten, er schreibe absurde Theaterstücke und wolle dieses Hobby zu seinem Beruf ausbauen. Gern hätte ich ihn wegen der schlechten Chancen gewarnt, doch da träumte ich schon im Narkosehimmel.

Als ich einige Stunden später wieder die Augen aufschlage, baden meine Hände in Blut. Mein OP-Hemd ist blutgetränkt, das schneeweiße Himmelbett sieht aus, als habe ich ein Menschenopfer vollbracht. »Da hat der Chef wohl am Faden gespart«, wispern die herbei geeilten Dottores und nähen noch ein wenig an meinem Alabasterbauch herum. Hätte ich gewusst, wie schlimm es tatsächlich um Berlin steht, dann hätte ich gern eine Rolle Nähgarn mitgebracht!

Gut vernäht, frisch verpflastert und neu eingekleidet erhole ich mich rasch und erkunde das Terrain. Der Krakeeler, mit dem ich schon beim Einzug Freundschaft schloss, verstummt bei meinem Anblick. Neben ihm liegt ein Alkoholiker, der an einem Abszess operiert werden soll. Der erhält sage und schreibe täglich zwei Kästen Bier und drei Flaschen Wodka, die er in sich hinein bechert. Grotesk, aber wahr: der Stoff wird von der Krankenkasse bezahlt und ihm täglich ans Bett geliefert, damit er nicht während der Operation kollabiert. Mir dürfen die Schwestern hingegen keinen Tropfen geben, weil mir die Qualifikation zum Trinker fehlt. Verrückte Welt!

Apropos Alkohol. Wo bleibt eigentlich meine Gallenblase? Die wollte ich doch in Alkohol konserviert bei Ebay versteigern! Leider sind die Organräuber von der Pathologie schneller als ich und schnappen sie mir samt einem Stück Leberlappen zur Begutachtung vor der Nase weg. Was soll der Geiz! Sie sei ihnen gegönnt, so ansehnlich ist das Hohlorgan nun auch wieder nicht.

3. Akt

Wann ich wieder raus darf, entscheidet der Chef. Wie ein Überseedampfer im Hamburger Hafen läuft er ein, begleitet von Oberärzten, Assistentinnen und Schwestern. Der Hohepriester betastet mein Bäuchlein, begutachtet das Werk seiner Hände und sagt »Montag«. Ein professoral-freundlicher Handschlag besiegelt sein Wort. Mein herzlichstes Dankeschön. Wir sehen uns dann zum Fäden ziehen wieder!

Epilog

Die körperliche Berührung sei ein sakraler Vorgang, der es in sich hat, schreibt Manfred Lütz in seiner humorigen Anleitung »Lebenslust« und erinnert in diesem Zusammenhang an historische Zusammenhänge, in denen auch unsere Halbgötter in Weiß gefangen sind: »Le roi te touche, Dieu te guerisse« (Der König berührt dich, so möge Gott dich heilen), verkündete der neue König beim französischen Krönungszeremoniell im Spiegelsaal von Versailles, wo dem gerade Gesalbten stets einige Kranke zugeführt wurden, die er dann anfasste.

Wie schreibt Wikipedia zum Eingriff doch so viel sagend: »In geübter Hand sind die Risiken gering«. Ja, allem wohnt ein Zauber inne.