Diese Kolumne lässt sich auch hören!

»Spider-Man und seine außergewöhnlichen Freuden« vorgetragen von Sebastian Marquardt
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

01.04.03

Till Frommann

Spider-Man und seine außergewöhnlichen Freuden

Foto (Makroaufnahme Vogelspinne)

Eine Spinne!

Rechteinhaber dieses Fotos ließen sich nicht recherchieren. Berechtigte Ansprüche bitte an den Webmaster.

Es war mitten in der Nacht, als ich schweißgebadet aus einem meiner finstersten Albträume erwachte. Ein Blick zur anderen Bettseite, doch anstelle meiner Freundin lag eine riesige Spinne dort. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck grinste mir das Insekt entgegen, dann rülpste es, entschuldigte sich aber sofort dafür – es hatte anscheinend entgegen aller Vorurteile Benehmen.

Und hatte es die Spinne wirklich getan? Sollte sie es tatsächlich gewagt haben? Hatte dieses verfressene Vieh meine Freundin als Mitternachtssnack verspeist?

Wovor Frauen sich am meisten fürchten: vor plötzlicher Gewichtszunahme, vorm Altern und eben auch vor harmlosen, kleinen Insekten, die sich das heimische Schlafzimmer als ihr Revier aussuchen.

»Eine Spinne!«, schrie meine Freundin. »Eine Spinne! Im Schlafzimmer! Hier schlafe ich heute Nacht nicht!«

Ich konnte die Aufregung nicht nachvollziehen. »Es ist doch nur eine Spinne«, versuchte ich sie zu beruhigen, »völlig harmlos. Was soll so ein kleines Insekt schon anrichten?« Wenn ich es doch schon vorher gewusst hätte – ich wäre nicht so unvorsichtig gewesen.

»Mach es tot! Mach es tot!«, schrie meine Freundin. »Mach es verdammt noch mal tot.«

Die Jagdsaison war eröffnet. Ich robbte mich durch das Schlafzimmer, suchte hinter dem Wäschekorb Schutz, visierte das Bett an. Keine Spinne in Sicht! Ich robbte mich näher an das feindlich besetzte Territorium heran, meine Freundin gab mir Rückendeckung. Doch der Feind, die Spinne, ließ sich nicht blicken. Ein embedded journalist würde sich über die wundervollen Bilder freuen, die sein Kameramann bei meiner Suche nach dem Biest aufgenommen haben könnte – wenn sich dieses Journalistenteam denn nun zufälligerweise in unser Schlafzimmer verlaufen hätte.

Die Minuten verstrichen, eine halbe Stunde war an uns vorbeigerauscht, und mir wurde langweilig.

»Sie ist gestorben«, erklärte ich meiner Freundin, »unter unserem Bett ist sie verhungert.«

»Bestimmt?«, fragte meine Freundin.

»Ganz bestimmt«, antwortete ich, doch ganz so sicher war ich mir nicht.

Und jetzt hatte ich den Ärger! Die Spinne wischte sich mit einer Serviette ihre Mundwinkel ab, bedankte sich bei mir für das delikatiöse Essen, tapste auf ihren acht Spinnenenbeinchen aus dem Schlafzimmer, öffnete die Wohnungstür und betrat den unbeleuchteten Hausflur. Dort, wo eigentlich meine Freundin liegen sollte, lagen 30 Euro – anscheinend war das der Wert, welchen die Spinne für akzeptabel angesehen hatte, Trinkgeld inbegriffen.

Schweißgebadet wache ich aus diesem finstersten aller Albträume auf, und es ist mitten in der Nacht. Ein Blick zur anderen Bettseite beruhigt mich, und ich lächle verliebt in Richtung meiner schlafenden Freundin.