09.05.09

Till Frommann

Im Osten geht die Sonne auf

Mitglieder von Randgruppen bekommen, je nach Popularität der Randgruppe, Randgruppenbonus, das ist schon immer so gewesen. Ich habe mich jetzt auch in solch eine Gruppe einordnen wollen, um für mein Berufs- und Privatleben Vorteile zu ziehen.

Ich wohne seit etwas mehr als zwei Jahren im Süddeutschen, aufgewachsen bin ich in Niedersachen. Niedersachen ist schön, aber ruhig, und es ist kälter als im Süden Deutschlands. Die Menschen sind – anscheinend bis auf mich und wenige andere Ausnahmen – schweigsam und introvertiert.

Ein kleiner Hinweise für geographisch nicht besonders versierte Menschen: Niedersachsen war nie Teil der Deutschen Demokratischen Republik. Was hinderlich ist für mich und meinen angestrebten Randgruppenbonus. Andererseits bin ich mit dem Ostfernsehprogramm groß geworden – die Programme »DDR 1« und »DDR 2« konnte ich im Zonenrandgebiet nämlich empfangen.

Ich bin aufgewachsen mit dem Kinderprogramm »Brummkreisel« und dem DDR-Sandmännchen. Und mit der wunderbaren Ertüchtigungssendung »Mach mit, mach's nach, mach's besser«, in der zwei ostdeutsche Schulklassen gegeneinander in sportlichen Disziplinen antreten mussten. Aber das kennt Ihr Süddeutschen ja nicht.

Bin ich also ein kleines bisschen ostdeutsch geprägt, weil ich durch Ostfernsehen sozialisiert wurde? Weil ich zum Beispiel Kindersendungen gesehen habe, in denen Werbung für unsere russischen Freunde gemacht wurde und dass man dringend mal in dieses wunderschöne Betonbauland fahren sollte? Oder dass ich als kleines Kind beobachten durfte, wie das Sandmännchen mit einem NVA-Panzer zum »Abendgruß« gefahren ist?

Nicht allzu selten kommt es vor, dass meine Heimatstadt Braunschweig mental in den Osten gehievt wird. »Das liegt doch im Osten?«, werde ich oft gefragt. Und: »Erzähl mal, wie war das so, damals, in der DDR?« Aber auch: »Isst du jetzt mehr oder weniger Bananen, weil du früher kaum welche hattest?« Und manchmal fragen sie mich, wie ich im Kapitalismus zurecht komme, denn es ist doch schon eine Umstellung gewesen nach der Wende, oder nicht?

Ich habe aufgehört, zu leugnen. Aber ich lüge auch nicht. Ich fange als Antwort an, über das Ostfernsehprogramm zu reden, und was kann ich dafür, wenn meine unwissenden Gesprächspartner deshalb kombinieren, dass ich Ossi bin. Vorgenommen habe mir jetzt jedoch, meine vermeintliche ostdeutsche Vergangenheit auszuweiten und als Fremdsprache Ostdeutsch zu lernen, obwohl ich weiß, dass sächseln durchaus eine anspruchsvolle Sprache ist.

Manchmal hoffe ich, dass mich meine Fastmigrantenbiographie ein bisschen weiterbringt – privat wie auch beruflich. Fragt sich nur, wie lange ich auf den Erfolg warten muss, und ich hoffe, dass es nicht ganz so lang dauert, wie es bei meinem Trabant der Fall gewesen ist.

Also bitte nur ernst gemeinte Jobangebote an mich – und der Zukunft zugewandt.