10.05.06

Till Frommann

Projekt Hartz IV
(in, natürlich, vier Akten)

PROLOG

Worüber man im Moment keine Witze machen sollte: Einerseits über den Propheten Mohammed und dessen Aussehen, andererseits über Arbeitslosigkeit und Hartz IV. Über das eine deshalb nicht, weil es viel zu gefährlich ist. Und nicht über das andere, weil es als Thema zu durchgenudelt ist und schon x-mal für dumme, dumme Witze herhalten musste. Über Hartz IV sollte man also erst dann wieder etwas Witziges sagen, schreiben oder denken, wenn die Arbeitslosigkeit beseitigt ist. Also, nun ja, äh, hallo Frau Doktor Merkel? Wie weit sind Sie eigentlich mit dem Projekt »Beseitigung der Arbeitslosigkeit«?
Ah. Okay. Also. Hm. Nun ja. Danke für die Auskunft. Ich verkrieche mich ja schon wieder unter meiner Bettdecke und weine, wie jeden Tag, mehrere Stunden und werde Sie nie wieder mit utopischen Hoffnungen belästigen.

Foto: Projekt Hartz IV

Projekt Hartz IV

Foto von Till Frommann

ERSTER AKT:
Die Sache mit der simulierten Arbeitslosigkeit

Und trotzdem! Ich wollte wissen, wie das ist, arbeitslos zu sein – wie sich diese Menschen fühlen, die man tagtäglich in der Tagesschau oder fast durchgängig auf RTL 2 sehen kann. Und: Ich bin Deutschland, denn ich bin arbeitslos. Und: Ich gehöre deswegen dazu. Und: Ich sollte mich den Konventionen meiner gesellschaftlichen Klasse anpassen.

Der Dresscode von Arbeitslosen besteht aus Feinrippunterhemd, Sporthose und Badeschlappen. Und genau das brauchte ich. Feinrippunterhemd! Bah! Widerlich! Wer so etwas freiwillig trägt, hat es auch nicht anders verdient, als arbeitslos zu sein. Obwohl: Auch in modischen Fragen lässt sich natürlich nicht über Geschmack streiten. Jeder, wie er will. Jeder nach seiner Fasson. Badeschlappen und Sporthose hatte ich schon, brauchte ich mir also nicht extra kaufen. Jetzt noch das Frühstück, Mittagessen und Abendbrot für meinen Hartz-IV-Tag einkaufen – nämlich Brezeln, Würstchen, Senf und, jaja, ganz wichtig: Bier.

Einen Tag lang simulieren, wie das ist, arbeitslos zu sein. Einen Tag lang so tun, als wäre man ein RTL2-Mensch. Einer dieser Herumlungerer. Dieser Nichtsnutze. Dieser Tunichtgute. Und wie widerwärtig: Ich bin doch tatsächlich einer dieser arbeitslosen Akademiker mit diesem akademischen Ich-gucke-auf-meine-arbeitslosen-Mitmenschen-herab-Blick. Bis ich erschrak und dachte: Mist. Bist ja selbst arbeitslos. Bist ja selber einer von denen. Und eigentlich lungerst du herum, seitdem du studierst. Also bist du, wenn du es genau nimmst, schon ziemlich lange arbeitslos – nur, dass du dich bis vor kurzem noch offiziell »Student« nennen durftest.

ZWEITER AKT:
Die Sache mit der Langeweile

Arbeitslos zu sein ist äußerst unspannend. Einschläfernd geradezu. Langweilig. Über das Fernsehprogramm müssen wir eigentlich nicht sprechen – aber über was sollte man als Arbeitsloser sonst sprechen? Aus mehr besteht das Leben doch eh nicht mehr, wenn man arbeitslos ist. Also dann. Das Fernsehprogramm, natürlich klischeebeladen: Gerichtsshows. Talkshows. Boulevardesker Blödsinn.
Kultur habe ich mir verboten, 3sat und arte waren tabu. Und Nachrichtensender nur, wenn man reinzappte und themenbezogene Sendungen liefen wie die Verkündung der neuesten Arbeitslosenzahlen, ein neuer Bericht, wie schlimm Hartz IV doch ist oder eine Dokumentation über das antike Rom oder andere wunderbare Epochen unserer schönen Historie – früher war nun einmal alles besser.

Mehr gibt es nicht zu erzählen von diesem, meinem Hartz-IV-Tag. Oder doch: Nahrhaft war er, der Tag. Die Brezeln krümelten. Das Wurstwasser machte meine Hände schön weich, fast so wie Feuchtigkeitscreme, aber dafür auch klebrig und stinkig. Und eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich auf meinem Feinrippunterhemd ohne besondere Nachhilfe, also ganz von allein und zufällig, fast aus Versehen, einen Senffleck hinterlassen könnte – Arbeitslose haben nämlich meistens auf ihrem Feinrippunterhemd Senfflecken, ist nun mal so. Habe ich aber nicht ohne besondere Nachhilfe hinbekommen. Bin halt noch kein eingesessener Hartz-IV-Empfänger. Musste mit meinen Fingern ins Senfglas greifen und den Senf auf dem Unterhemd verteilen. Das war das Highlight des Tages. Ansonsten war alles äußerst unspannend. Einschläfernd geradezu. Langweilig. Und dann war da noch der Alkohol.

DRITTER AKT:
Die Sache mit dem Alkohol

Ich bin zu spießig. Ich bin ein Weichei. Bin es nicht wert, arbeitslos zu sein. Mein Arbeitslosentag ging fast den gesamten Tag. Vom Aufstehen bis um 22 Uhr. Und eigentlich mit allem, was dazu gehört, und dazu gehört natürlich auch Bier. Viel Bier. Und das gleich nach dem Aufstehen. Und das konnte ich nicht. Ich nippte früh morgens an einer Plastikflasche Billigbier. Und nippte an derselben Flasche bis zum Nachmittag. Und dann die zweite Flasche. Und das war es. Bier am Morgen bekam ich einfach nicht hin, und das versaute mir dann auch den Appetit auf noch mehr Billigbier. Ich muss noch viel üben, wenn ich ein richtiger Profi-Hartz-IV-Empfänger werden will, und wahrscheinlich wird mir der Arbeitsmarkt dafür auch Gelegenheit bieten.

Darauf erst Mal einen Schluck Bier. Prost, liebe Zukunft. Und, äh, wenn ich noch einmal fragen dürfte, Frau Doktor Merkel? Wie sieht?s denn nun eigentlich aus? Ach, es hat sich in diesen paar Minuten nichts geändert? Und ich bin zu ungeduldig? Und ich soll Sie nicht weiter mit dummen Fragen nach einer schöneren, strahlenderen, wunderbaren Zukunft belästigen? Nun gut. Dann halt nicht. Ich bin Deutschland. Ich bin arbeitslos.

VIERTER AKT:
Die Sache mit dem Sinn

Arbeitslos zu sein ist sinnlos. Das ganze Leben wird sinnlos. Man wird im Arbeitsamt »Kunde« genannt, aber nicht so behandelt. Man muss mehrere Stunden lang mit anderen Betroffenen auf einen Termin warten – und weil mir dabei so langweilig war und ich mir dachte, dass es den anderen auch so gehen würde, fragte ich in die Ich-habe-keinen-Job-und-sehe-auch-so-aus-Runde, ob jemand Interesse an dem Wirtschaftsteil meiner Tageszeitung hätte. Vielleicht, dachte ich, würde sie der aufheitern und von ihren Problemen abgelenken. Obwohl. Nun ja. Wohl eher nicht.

Das alles ist vollkommen sinnlos. Auch, wenn man die Ehre zugeteilt bekommen hat, mit einer wundervollen Kundenberaterin die Zeit verbringen zu dürfen. Und wie viel Zeit ich mit der werten Dame verbringen durfte. Nach zwei Stunden Unterhaltung über meinen Hartz-IV-Antrag, für den ich über zwei Wochen benötigte, um ihn ordnungsgemäß auszufüllen und Verträge dafür zu kopieren, entwich mir ein »Schön gemütlich haben Sie's hier. Aber so viel Zeit wollte ich dann doch nicht mit Ihnen verbringen.« Und in einem anderen Gespräch mit eben dieser wundervollen Kundenberaterin rutschte mir ein »Ich sehe Sie jetzt öfter als meine Mutter – darf ich Sie ›Mama‹ nennen?« heraus. Und einmal sagte ich zu ihr: »Junge Dame, mit ein wenig Routine bekommen Sie das sicher irgendwann reibungslos hin.« Dabei war sie eine Mittfünfzigerin, wenn nicht sogar noch älter und arbeitete mit höchster Wahrscheinlichkeit schon länger in diesem Etablissement. Routine müsste sie dementsprechend eigentlich besitzen.

Und wie bereits gesagt: Alles wird verdammtnochmal unglaublich sinnlos. Die Dinge, die man für das Arbeitsamt machen muss – man denke da nur an den wundervoll zynischen Slogan »Fördern und fordern«. Die Dinge, die man den wundervollen Menschen dort an den Kopf knallt. Und alles andere auch. Willkommen in der sinnentleerten Arbeitslosigkeit.

EPILOG

Und es reicht! Ich will nicht mehr! Ich habe es satt, arbeitslos zu sein! Ich brauche einen Job. Bitte! Also dann, liebe Zeitschriften-, Zeitungs- und Internetredaktionen: Je länger ich arbeitslos bin, desto antriebsloser werde ich. Und: Ich habe keine Lust mehr, Ihnen aufwändige Bewerbungsmappen zu schicken. Und: Es ist doch alles sowas von sinnlos. Und: Ich melde mich von heute an nicht mehr bei Ihnen, melden Sie sich doch bei mir. Und: Nur ernsthafte Volontariatsangebote erwünscht. Mit freundlichen Grüßen und Dank im Voraus.