Manchmal bin ich mir fast hundertprozentig sicher, dass Hass ein angebrachtes Gefühl ist.
Und wenn ich demnächst wieder verliebt sein werde, habe ich mir vorgenommen, mich nicht dem gegebenenfalls grässlichen Musikgeschmack meiner zukünftigen Freundin zu beugen – ich werde mir ihr zuliebe zum Beispiel kein Konzert von Bon Jovi antun.
»But don't forget the songs that made you smile and the songs that made you cry«
Musik ist sehr wichtig in meinem Leben. Musik verstärkt die Stimmung. Musik lenkt von der Realität ab. Musik lässt langweilige Busfahrten zur Arbeit kurzzeitig etwas spannender wirken – obwohl ich zugeben muss: Gespräche im Bus sind dafür je nach Gesprächspartner deutlich geeigneter.
Überall ist Musik, und vielleicht würde es mir ohne Musik sogar besser gehen, meinen Ohren sowieso. Oder würde es mir schlechter gehen, wenn ich auf melancholische Lieder verzichten würde?
»Pick up the phone and answer me at last / Today I will step out of your past«
In einem Hotelzimmer irgendwo in Wien. Warum ruft sie mich nicht an? Die Roamingkosten wären mir egal. Aber, hey, weshalb sollte sie das tun? Sie weiß nicht einmal, dass ich ihren Anruf erwarte. Sie hat noch nie meine Nummer gewählt, weshalb also gerade jetzt? Das ist doch Unsinn. Irrsinn. Außerdem wolltest du dich nicht verlieben, also lass die Scheiße. Reiß dich zusammen!
»I wanna hold her wanna hold her tight / Get teenage kicks right through the night«
Habe ich Ahnung von Musik? Ja. Und nein. Was weiß ich denn. Ich habe auf Facebook eine Fansite gegründet, auf der Musikliebhaber oder solche, die sich dafür halten, posten können, was sie gerade für Musik hören. So habe ich ein paar neue Lieder kennen gelernt. Und bringt es mich weiter in meinem Leben? Ja? Nein. Ach, scheiß drauf. Worauf kommt es überhaupt an im Leben? Kann mir das irgendwer sagen?
Die Hauptsache ist doch, dass sie mich berühren, die Melodien und die Texte und die Stimmungen eines Liedes. Manchmal reicht es aber auch, wenn sie mir mein Trommelfell auf eine angenehme Art und Weise beschädigen.
»I don't feel nothing now / Not even fear / Now that end times are here«
Es ist schon einige Zeit her, als ich für eine Lokalzeitung ein Interview mit einem Musiker führte. Ich philosophierte mit ihm über Zwölftonmusik und die Emotionalität von Musik – und ja, ich gestehe: Das war eindeutig zu feuilletonistisch für die Zielgruppe. Andererseits schreibe ich die meisten Texte so, dass ich sie selbst mit Begeisterung lesen wollen würde, und dieses Interview habe ich wirklich sehr gerne gelesen, weil es ein großartiges Gespräch geworden ist. Kein Wunder, bei dem Interviewer.
Ich hatte den Musiker gefragt, bei welcher Musik oder Kunst er besonders gerührt sei – und er dementierte. »Ich bin eher berührt«, erklärte er mir. Der Unterschied? Rührung gehe in Richtung Tränen, Berührung hingegen sei zunächst einmal wertfrei. »Gerührt sein durch etwas ist eine Spezifizierung der Berührung«, definierte er. »Wenn ich meinen Finger auf Ihren Arm lege ist das eine Berührung. Das, was bei Ihnen dadurch entsteht, hängt davon ab, wie Sie zu mir stehen – also was mit Ihrer Emotionalität geschieht. Das kann Sie rühren, aber auch berühren«
Ich hakte nach: »Musik ist doch auch dazu gedacht, berührt und dadurch gerührt zu werden?«, fragte ich, woraufhin der Künstler wieder dementierte. »Ich würde nicht den Zweck von Musik auf Rührung reduzieren wollen, auf gar keinen Fall«, erklärte er mir energisch. »Musik ist keine Tränenkiste. Ich glaube, dass Musik zunächst einmal Ausdruck von etwas ist, das wiederum beim Hörer einen Eindruck auslöst.«
Und erwähnte ich schon, dass es ein gottverdammtnochmal gutes Interview war, das kaum Menschen gelesen oder gewürdigt haben? Die Hauptsache ist doch, dass ich weiß, wie genial und bedeutend ich bin.
»I'm the biggest the best / Better than the rest / Better than the rest«
Immer noch dieses einsame Hotelzimmer. Der Fernseher läuft, und mir ist egal, was es ist. ORF. ATV. Mir doch egal. Wenigstens mag ich die Stadt. Die Menschen. Die Kaffeehäuser. Kannst du wenigstens für ein paar Tage dein langweiliges Privatleben vergessen? Danke.
»I remember the time I knew a Girl From Mars / I don't know if you knew that«
Langeweile ist das Schlimmste, das einem passieren kann. Popmusik ist Langeweile, denn wer jeden Tag in Scheiße schwimmt, verliert irgendwann Geruchs- und Geschmackssinn.
Langweilige Dates sind langweilig. Aber darüber möchte ich eigentlich gar nicht schreiben. Vielleicht später. Nur soviel: Ich hatte und habe genügend Verabredungen, um einschätzen zu können, wann es sich lohnt, ohne Hand vor dem Mund zu gähnen.
»Sing about love, sing about lust, so they will care«
Meine letzte Freundin war langweilig. Ich bin mit ihr auf einem Konzert von Morrissey gewesen – und was gibt es Schöneres, als das Konzert eines melancholischen Künstlers zu erleben, der melancholische Lieder über den Unsinn der Liebe singt, und leise zu ahnen, dass man in dieser Konstellation niemals glücklich werden wird? Im Gegensatz zu ihr habe ich nämlich Gefühle.
»And there are sounds you cannot hear / And there are feelings you can't feel«
Zwei Lieder haben mich in meinem Leben ständig begleitet, und ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal genau, wieso es ausgerechnet dieser Kram ist – die Grenze hin zum Pop ist schon halb bis vollständig überschritten. Das eine Lied ist »The sidewinder sleeps tonite« von R.E.M., das andere ist »Polyester Bride« von Liz Phair. Wenn mir das bitte jemand erklären würde.
»Baby, instant soup doesn't really grab me / Today I need something more sub-sub-sub-substantial«
Eine Zeit lang habe ich das immer selbe und ansonsten nicht weiter erwähnenswerte Lied gehört. Nachbarn beschwerten sich zwar nicht, aber amüsierten sich darüber. Darauf angesprochen habe mich an eine Szene aus »Lili Marleen« von Rainer Werner Fassbinder erinnert gefühlt, in welchem jemand mit dem immer selben Lied gefoltert wird. Ich hingegen habe das Lied genossen. Refrain für Refrain. Strophe für Strophe.
Verrückt.
»I think I'm dumb / Or maybe just happy«
Den Abend könnte man, wenn man wollte, als scheiß Abend bezeichnen. Ich weiß nicht, weshalb ich hier bin. Was mache ich hier? Es läuft Techno. Oder ist es R'n'b? Dancefloor? Irgend etwas, was mich aggressiv macht. Und warum bin ich an diesem Ort? Vielleicht aus naiven, post-pubertären Gründen. Ich habe mich in eine Frau verguckt, was nicht ganz so oft vorkommt. Leider mag die Frau diesen Schrott.
Spätestens, als Nirvanas »Smells like teen spirit« mit einem schrecklich erschreckenden Technobass unterlegt aus den Boxen schrammelt, hätte ich gehen sollen.
Leider bekomme ich später am Abend ein Gespräch mit, in welchem sie anfängt, direkt vor meinen Augen mit einem anderen Menschen zu flirten, sie möchte sich mit ihm zum Essen verabreden. Ist das anstandslos? Immerhin kennen wir beide uns nackt.
In was für einer kranken Welt leben wir eigentlich?
»As far as I'm concerned, the world could still be flat«
Zurück in Deutschland, und auch hier läuft der Fernseher. Der Biography Channel zeigt eine Dokumentation über das Wirken von William Shatner. Warum auch nicht.
»And if the thrill is gone, then it's time to take it back«
Und im Leben geht es doch eigentlich bloß darum, sich mit Musik und Alkohol die schnöde Realität wegzudröhnen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.