02.02.14

Meike Haberstock

Meine Töchter Copy & Paste

Vor 21 Monaten habe ich Zwillingsmädchen bekommen. Und seitdem ist alles doppelt verrückt. Und »doppelt«, nein, das ist nicht als – haha! – Wortspiel gemeint (Auch, wenn man das von mir erwarten könnte!) – es ist wirklich so.
In echt, live und in Farbe.

Dass man Zwillinge in der Anfangsphase zehnmal am Tag stereofüttern muss, dass man in Babymärkten in 42 Minuten das Bruttoinlandsprodukt von Simbabwe umsetzen kann (und dann immer noch nicht alles Zeug beisammen hat) und der Nachwuchs tatsächlich ca. 100 (in Worten: hundert!) Windeln pro Woche verbraucht ... ach Leute, alles geschenkt!

Das WIRKLICH Verrückte in unserem Leben sind die Reaktionen der Mitbürger, wenn wir in Sichtweite kommen. Sie reichen von Ungläubigkeit über unverfrorene Neugier bis hin zur leichten Übelkeit.

In den ersten Monaten überlegte ich ein Schild am Kinderwagen zu befestigen: »Gucken 1€! Kommentar kostet extra!«
Ich denke, die Ausbildungen hätten so schnell finanziert werden können ...

Den Müttern unter euch muss ich nicht sagen, dass es in Gesprächen unter Mamas exakt KEINE Grenzen der Intimsphäre oder des guten Geschmacks gibt. Stundenlang können Frauen ohne Langeweile ihr gruseliges Entbindungs-Quartett spielen und dabei ganz in Ruhe Kaffeetrinken: Wehendauer; Dichte der Schwangerschaftsstreifen; Narbenlänge; Blutverlust; STICH! ... Männer sollten an dieser Stelle nicht weiter nachfragen, Frauen einfach nur nicken.

Dass mich aber selbst (zurecht!) wildfremde Menschen ansprechen und wahlweise intime Details abfragen, als hätten wir schon einmal eine Nacht gemeinsam im Aufzug verbracht, war selbst für mich, der kaum etwas Menschliches fremd ist, neu. Im Laufe der letzten Monate änderte sich nur die Art der Ansprache, die Distanzlosgkeit bleibt uneingeschränkt erschreckend frisch.

Am Anfang der Schwangerschaft:

Frau in der Bahn neben mir:
»Oh, es ist bald soweit, ja?«

Gegen Ende der Schwangerschaft:

Eine mir auf der Rolltreppe entgegenkommenden Frau:
»Mein Gott!«

Ein Mann, der erst noch zu mir in den Aufzug springen will:
»Ähh, ich nehm den nächsten!«

Ein Taxifahrer, leise murmelnd:
»Allah, mach', dass sie durchält!«

Seitdem die Kinder auf der Welt sind:

Frau mittleren Alters, in der Schlange im Supermarkt:
»Die beiden sind aber ganz schön groß. Kaiserschnitt?«

Frau, höheren Alters, an der Fußgängerampel:
»Ach, Sie Ärmste!«

Die Apothekerin (nicht mehr) meines Vertrauens bei hohem Kundenaufkommen:
»Auf natürlichem Wege gezeugt? So jung sind Sie ja nun auch nicht mehr!«

Verkäuferin, vor einem Stapel mit karierter Hemden zu meinem Mann, der ein kariertes Hemd suchte. (Ich wartete mit den Kindern bei den Krawatten.)
»Gehen Sie in den ersten Stock. Da finden Sie die reduzierten Waren.«


Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum uns der Hauch eines Wanderzirkus umweht, wenn ich mit meinen drei Kindern so verrückte Dinge tue wie z.B. über die Straße zu gehen. Gut, nicht dass uns Horden von lärmenden Kindern hinterherlaufen, aber um die Blicke der anderen zu spüren braucht man keine noch so kleine Paranoia.
Leute starren meine Kinder und mich an. Versteht mich nicht falsch – wir sind nicht nackt, nicht prominent, bilden keine marodierende Bande, die brandschatzend durch das Viertel zieht. Meine Töchter tragen keine blinkenden Prinzessinenkleider (mein zehnjähriger Sohn übrigens auch nicht!), wir besitzen alle alle Gliedmaßen, wir sind nicht dreckiger als andere und gehören eigentlich der Kategorie »Dutzendfresse« an. An uns ist nichts Aufregendes – mal davon abgesehen, dass wir zu fünft sind, wenn wir komplett sind.

Aber reicht das wirklich schon?
Die Blicke, die uns entgegen schießen, wenn wir ein Restaurant betreten, einen Aufzug füllen, kurzzeitig den Bürgersteig versperren oder samstags den halben Supermarkt leer kaufen, sagen »JA!«. Und machen mir manchmal Angst. Was ist so ungewöhnlich an uns? Zwei Erwachsene, drei Kinder, zwei männlich, drei weiblich, so what?

Unsere Töchter sind zweieiig und sehen sich nicht im Geringsten ähnlich. Ich bin froh, wenn man sie später überhaupt als Schwestern identifizieren kann. Wir ziehen sie unterschiedlich an, keine von beiden ausschließlich in Rosa. Allerdings haben sie ein paar Klitze-Kleinigkeiten gemeinsam. Unsere Töchter sind gleich klein, sitzen nebeneinander im gleichem Kinderwagen und werden meist gleichzeitig von der gleichen Frau geschoben. Von mir.

Wenn man uns nun zum ersten Mal sieht, rätseln wirklich viele Leute über unser Verwandtschaftsverhältnis. Denn anders kann ich mir den Fragenklassiker nicht erklären, der mich nun mehr seit fast zwei Jahren begleitet.

»Zwillinge?«

Hey, das ist ja mal eine ganz verrückte Frage, wenn man sich noch mal kurz die Situation vor Augen führt. Zwei kleine Kinder in einer Kinderkarre, geschoben von einer Frau, die man durchaus als Mutter identifizieren könnte.

»Zwillinge?«

Was ich darauf antworte?

  1. »Ja.« (Meistens)
  2. »Genau.« (Abwechselnd mit 1)
  3. »Nein, die Linke geht schon zur Schule, ist nur etwas klein geraten.« (Zweimal)
  4. »Nein, hierbei handelt es sich um eine Autobatterie und eine Kaffeemaschine.« (Mein Mann, einmal)

Was denken sich diese Menschen? Oder verstehe ICH nur nicht diesen Small-Talk-Door-Opener nicht, weil ICH mittlerweile etwas ungeübt bin in Erwachsenen-Kommunikation? Nun ja, ich gebe zu, dass wir alternativ zur Eine-Million-Euro-Frage auch Pseudo-Nettigkeiten hören, die so unfassbar originell und überraschend sind, dass ich sie in knapp zwei Jahren Zwillingsmutterdasein noch nie, also wirklich noch NIE, gehört habe. DAS denken zumindest die Frauen, Männer und Bäckereifachverkäuferinnen mit den glühenden Wangen, die mich ansprechen:

»Gleich im Doppelpack, ja?«

»Doppelt hält besser, hm?«

»Na, dann haben Sie gleich alles in einem Abwasch erledigt!«

Als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, fragte ich die mir unbekannte Dame, was sie damit genau meinte, so zwischen Schlesischen Gurkenhappen und Mischbrot.

»Na, ZWEI Kinder auf EINMAL. Reicht doch. Sind Sie durch mit dem Thema.«
»Welchem Thema?«
»Ähh..!«
»Vögeln?«
»...«

Sie ging dann zu den Geleebananen. Und ich ein paar Monate später auf den Spielplatz, wo man sich zum Glück mittlerweile an uns gewöhnt hat. Eine hochschwangere Frau, die eigentlich erst im sechsten Monat war, setze sich zu mir auf die Bank. Unser Gespräch begann weder mit »Zwillinge?« noch mit »Ist bald soweit, hm?«, sonden mit »Sie haben's gut. Bei mir werden es drei!«

Ich bin guter Dinge, dass sie mir in diesem Frühling die Show stiehlt.