This column's translation: »In Lieu Of Cards«

27.08.05

Meike Haberstock

Statt Karten

Mein Freund Bert ist tot. Vor einigen Kolumnen habe ich von seiner Zitrone im Kopf berichtet. Also von seinem Hirn-Tumor, der bei der Erstdiagnose so groß wie eine Zitrone war. Viele Monate haben wir darüber gelacht, geweint, geschrien, geschwiegen. Oft auch getrunken. Mojiten wie er sein Lieblingsgetränk im Plural nannte. Nun ist er tot und ich trinke allein. Auf ihn. Auf meinem Balkon, bei Sonne, mit Minze aus Nachbars Garten. Aber eine Lösung ist das auch nicht.

Die Zitrone war in den letzten Monaten vor seinem Tod erst zu einer Pampelmuse und dann zu einem ganzen Obstkorb geworden. Bert nannte sich selbst zum Schluss nur noch »Die Plantage« und war nicht traurig, dass der Tod nahte. Er verlor zwar langsam den Verstand, jedoch nie seinen Humor.

Gut, dass das eine nicht das andere bedingt.

In seinen wachen Momenten nahm er meine Hand, versicherte mir, dass Courtney Love für seine kostenfreien Drogen bestimmt sehr viel vor laufenden Kameras tun würde und formulierte an seiner Todesanzeige herum.
»Nur die besten sterben jung. Das hat doch Gewicht. Was meinst du?«
»Du bist 37 Jahre. Noch Fragen?«
»Mein Gott, bei der derzeitigen demographischen Entwicklung ist alles unter 40 doch noch fast adoleszent. Außerdem bin ich immer noch immatrikuliert und fange noch heute bei Cap & Capper an zu heulen. Aber bitte. Wie wäre es mit Gekämpft. Gehofft. Und doch verloren.
»Da fang ICH gleich an zu heulen.«
»Bert ist tot. Nachmieter gesucht.«

Das anschließende Lachen endete unter der Sauerstoffmaske.

Im Hamburger Abendblatt war vor Jahren einmal vom Tod der Adeligen Elisabeth von Hinten zu lesen. Soweit so tot. Vor ihrem Namen stand »Heut nahm der Herrgott...«. Soweit so tragisch, denn zu »zu sich«, was hinter ihrem Namen stand, kam man ja erst später.
Viele Faxe später. Auch Bert schickte ich damals so ein Anzeigen-Fax und wir lachten bis zuletzt darüber.

In seinen letzten Wochen suchte ich ihm ein Beerdigungsinstitut, dessen Geschäftsführer ihn im Hospiz besuchen musste.
Bert wollte seiner Familie so wenig wie möglich an Geld und mir so wenig wie möglich an Arbeit hinterlassen und regelte sein »Ableben«, wie es Herr Süverkrüp nannte, im Vorfeld. Herr Süverkrüp war Mitte 50, von schlanker und eher kleiner Statur und Geschäftsführer des »Institutes« in vierter Generation.
Er trug einen dunkelgrauen Zweireiher, war diskret, professionell und nur ein einziges Mal in der Zeit der Abwicklung etwas irritiert:
»Ich will eine teure Beerdigung. Tropenholz mit schwarzem Klavierlack, Satinpolster, Lilien in unanständigen Mengen und eine Kapelle.«
Einundzwanzig, zweiundzwanzig...
»In Ordnung.«
Der restliche Kleinkram wurde innerhalb einer Stunde geregelt und ein Festpreis garantiert.

Dass Herr Süverkrüp Tag und Nacht erreichbar sei, wollte Bert zwei Tage später gleich testen und ließ sich vom Nachtdienst um 3.00 Uhr früh wecken. Hackevoll mit Novalgin und Rum wählte er Süverkrüps Privatnummer, um ihm mitzuteilen, dass sich sein Ableben wohl noch zwei bis drei Wochen hinziehen könne. Ob das denn in Ordnung sei, wollte er wissen, schließlich stünde ja der Hochsommer vor der Tür, und er habe sich soeben gefragt, ob das Kühlen bis zur Beisetzung im vereinbarten Preis mit drin sei. Süverkrüp ließ Bert wissen, dass er sterben könne, wann er wolle, ob Juli oder erst im Herbst. Da gäbe es keinen Aufpreis – die Kühlkammer sei immer mit drin. Ebenso wie der Klavierlack und die Blumen. Den angeforderten Mojito wusste Schwester Maria zu verhindern, die Bert den Hörer während des Telefonats hielt und dieses dann um 03:12 Uhr beendete.

Tage später musste ich zum »Grave Spotting«, d.h. ich sollte Bert einen schönen Platz auf unserem Friedhof suchen. Eindeutig das bizarrste Erlebnis, das ich je hatte, und da war der Darkroom in einem Schwulenklub schon mit eingerechnet.

Acht Grabstätten standen zur Auswahl, die ich bitte schön mittels Notizen und Digitalkamera zu dokumentieren hatte. Der Friedhofsgärtner führte mich über die Südparzelle zum ehemaligen Soldatenfriedhof zum alten Teil über den Bereich mit den anonymen Urnengräbern zurück ins kleine Kastanienwäldchen.
Acht Flecken Erde, die mehr oder minder schon eingeebnet waren und nun auf einen neuen – ja was denn? – Bewohner/Toten/Gast/Mieter warteten. Mir war nach achtmal »Wie groß«-»Welche Himmelsrichtung«-»Welche Nachbarn«-»Wie nah zur Straße« plus Fotos fürchterlich übel und ich schaffte es gerade noch bis zur nächsten Grünschnitt-Tonne, um mich zu übergeben, während der Gärtner verlegen den Weg harkte.

Ich suchte Bert einen Platz im Kastanienwäldchen aus, da er, kurz bevor ich als Grabmaklerin ins Hospiz kam, ins Koma fiel.
»Na, das war ja klar. Wenn du jetzt nicht aufwachst und dir diese beschissenen Fotos anguckst, die ich unter Einsatz meines Lebens und Ansehens gemacht habe, dann hat der Arsch aber Kirmes...«
Bert wachte nicht mehr auf und drei Wochen später blies die angeforderte Kapelle in einem Meer aus Lilien »My way«, während das schwarze Klaviermöbel unter der Kastanie verschwand. Ich warf eine Zitrone mit ins Grab und dachte an seine Bitte: »Schreib das bloß in diesem Internetforum. Die Story ist doch viel zu lustig, als dass du sie nur allein für dich hast.«