24.09.01

Guido Heyn

Minister auf Reisen oder
Politisch korrekt?

Alle hacken auf dem armen Scharping rum, ich versteh das nicht. Dabei ist er doch bloß seinen Gefühlen gefolgt. Wer kann das nicht nachempfinden. Gut, er hat ein bißchen die Flugbereitschaft in Anspruch genommen, immer schön getarnt unter konstruierten formellen Anlässen. Aber sehen wir doch mal die positiven Aspekte: Er hat ein Signal gesetzt, ein Signal, dass die Liebe Grenzen und äußere Zwänge überwinden kann, ja muss. Und: Er war dabei kreativ.

Wo kämen wir denn da hin, wenn man jetzt plötzlich alles hinterfragen will? Zum Beispiel wieviel Bundestagsabgeordnete bei den Bundestagssitzungen teilnehmen, ob die EU-Abgeordneten sich nicht nur in die Anwesenheitslisten eintragen sondern auch physisch teilnehmen oder ob Dienstwagen auch für Dienstfahrten genutzt werden. Oder ob ein Ex-Bundeskanzler durch das Abgeben eines Ehrenwortes von der Strafverfolgung befreit ist. Nein, nein, so geht das nicht. Fassen wir uns erstmal an die eigenen Nasen oder was auch immer. Wer von uns hat nicht schon einmal eine Büroklammer aus dem Besitz des Arbeitgebers zweckentfremdet eingesetzt (Fingernägel gereinigt) oder für private Unterlagen genutzt? Wer hat nicht schon mal ein Privattelefonat auf Firmenkosten geführt oder die Steuer behumst?

Fragen wir uns doch mal, was der Begriff Political Correctness eigentlich bedeutet: Politische Korrektheit, also: Sich wie ein Politiker zu verhalten, ist korrekt.

Nein, so wie es ist, ist es schon in Ordnung. Die Politiker tun nur das, was wir ihnen vorleben. Gut, in etwas anderen Größenordnungen, aber sie tun es uns nur gleich. Alle reden jetzt von der Vorbild-Funktion der Politiker. Sie sind Vorbilder, sage ich da nur. Wir schaffen es halt nur nicht, in ihre Größenordnungen vorzudringen. Und das, obwohl ich, als Beispiel, alles dahin gehende versuche. Erst kürzlich wieder, habe ich etwas – altmodisch genannt – Unrechtes getan: Ich fand eine Mark in dem Einkaufswagen vor dem Supermarkt. Mein Pflicht wäre es natürlich gewesen, diese Mark dem Geschäftsführer des Supermarktes zu übergeben, für den Fall, dass sich der rechtmäßige Besitzer noch meldet. Oder aber ich hätte sie der Polizei übergeben müssen. Aber nein, politisch korrekt wie ich nun mal bin, habe ich sie behalten. Und nicht mal ein bißchen schlechtes Gewissen hatte ich deswegen.

Mein großes Ziel ist es natürlich, Politiker zu werden. Da kann man dann ganz andere Dinger drehen: Zum Beispiel Kugelschreiber mitgehen lassen und verscherbeln, sich an den Büfetts vollfuttern und noch was für die ganze Familie einpacken lassen oder Partei-Merchandising (Gläser, Tassen, Teller) sammeln und bei der nächsten Hochzeit als Aussteuer verschenken. Hach, ja. Ich muss mich nur noch entscheiden, in welcher Partei ich mein Glück versuche. Mal sehen, welche hat denn in Politischer Korrektheit die Nase vorn? Ich seh schon, das wird schwierig. Als gäbe es einen Wettstreit unter den Parteien, wer korrekter ist. Ich glaube ich nehme die ...