05.01.06

Tobias Kaufmann

Die zehnte Babykolumne:
Enthüllungen über Folterpapa

Die kleine Vorsitzende lügt. Wenn ich sie zum Beispiel frage, was es im Kindergarten zum Mittagessen gab, antwortet sie jeden Tag: »Nudeln.« »Ach, schon wieder Nudeln?«, frage ich. Vergnügt fährt sie fort: »Und Kartoffeln. Und Reis.« »Das klingt gut«, flunkere ich. Sie guckt kurz irritiert – und lügt dann dreist grinsend zurück: »Und Suppe. Und Fleisch. Und Fisch mit Eis.«

Fragt man meine Tochter, wann sie ins Bett gehe, behauptet sie stets: »Um sieben.« Dabei geht sie um acht ins Bett, niemals um sieben. Wenn eine Oma abends anruft und fragt, was sie denn gerade mache, dann behauptet Jael: »Ich arbeite ein bisschen.« »Ach, Du arbeitest?«, fragt die besorgte Oma erstaunt. »Und was macht Papa?« »Der spielt.«

Diese weite Auslegung der Wahrheit ist an sich natürlich unproblematisch. Jael hat eben Phantasie. Oder sie bereitet sich auf eine Zukunft als Führungskraft beim Militär, beim Geheimdienst oder in den Medien vor. Aber meine Tochter lügt nicht nur, sie hat außerdem noch trockene Haut. Trockene Haut juckt. Und wie kleine Hunde neigen Kinder dazu, juckende Haut solange zu kratzen, bis sie rot ist und – zerkratzt. Man kann diese typischen Verhaltensweisen eines zweieinhalbjährigen Mädchens völlig zu Recht für »größtenteils harmlos« halten (was rein zufällig auch die euphemistische Umschreibung des Planeten Erde im Standardwerk »Per Anhalter durch die Galaxis« ist). Dennoch bedroht dieses harmlose Verhalten unser Familienglück! Ich bin ein nervliches Wrack. Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt, zucke ich zusammen, weil ich fürchte, es sei die Frau vom Jugendamt.

Schuld daran ist neben Jaels notorischer Lügerei vor allem ihre Uroma. Denn kürzlich hat meine Tochter interessiert zugesehen, wie diese Uroma in einem Anfall überkommener Erziehungsmethoden einen Teddybären übers Knie legte, weil er – das behauptete zumindest meine Tochter – »in die Hose gemacht« hat. Ein paar Tage später begann die kleine Vorsitzende mit ihrem rotgekratzten Hintern durch die Gegend zu stiefeln und jedermann ungefragt vorzutragen: »Habe schlimmes Aua! Papa hat mir Po gehauen ...« Selbstredend ist das eine infame Lüge. Aber haben Sie schon mal versucht, jemandem Ihr blaues Auge zu erklären, nachdem Sie wirklich nur die Treppe runtergefallen sind? Eben.

»Babykolumnen« von Tobias Kaufmann:

  1. Bob der Bär
  2. Guten Morgen Deutschland
  3. Nagenakknakk dejööööh rkjnok
  4. Häusliche Gewalt
  5. Chrissodaum
  6. Toooor!
  7. Selba!
  8. Auf Tournee
  9. Mein fremdes Kind
  10. Enthüllungen über Folterpapa
  11. Köff, Köff!
  12. Papa allein zu Haus
  13. Mussa nicha weinen!
  14. Gott und die Beinchen
  15. Passende Paprika
  16. Hesus von Köln
  17. Staatsbesuch
  18. Alles für die Forschung
  19. Ein Pferd für die Königin

Ab hier nennen wir es »Kolumnen mit der Kleinen Vorsitzenden« von Tobias Kaufmann:

  1. Mama sieht nicht schön aus
  2. Mit der Einschulung beginnt der Ernst des Lebens. Fragt sich nur, für wen.
  3. Scheckbuchdiplomatie

Solche Kolumnen sind auch in Tobias Kaufmanns Buch »Die kleine Chefin. Ein Trostbuch für versklavte Eltern«, wunderbar illustriert von Meike Haberstock, erschienen – im Eichborn-Verlag, einfach beim Buchhändler Ihres Vertrauens oder im Internet bestellen, zum Beispiel bei amazon bestellen. Das Geschenk für werdende und junge Eltern!