Das ist mein Land. Mit dieser Aussage beginnen alle klassischen Territorialkonflikte. Auch in der Welt der kleinen Vorsitzenden, die inzwischen gar nicht mehr klein ist, gibt es solche Konflikte – allerdings drehen sie sich um eine andere Frage. Wer muss welches Territorium aufräumen, und wie drückt man sich um diese Verpflichtung herum?
Die kleine Vorsitzende hat genau ein Zimmer, aber ihre beiden kleinen Schwestern, die Grazien, teilen sich eins. Verwüstet werden beide Reiche in der Regel gemeinsam. Doch wenn es um den Wiederaufbau geht, endet die internationale Solidarität. Das ist nicht mein Land!
Über die Frage, wer welche Playmobilkiste unter keinen Umständen anzufassen bereit ist, werden Konferenzen unter sechs Augen abgehalten, die in Jalta spielen könnten, wenn Jalta nicht so weit weg wäre. Sie verlaufen unter Gezeter, Geschrei, Schubsen und Kneifen, Kreischen und Schluchzen – und dauern natürlich länger als die ursprüngliche Herausforderung, das Aufräumen, gedauert hätte, wenn man die Zeit nicht aufs Drumherumdrücken verwenden würde.
Wie bei solchen Konflikten üblich, bilden sich Allianzen. Meistens kämpft Elea, die elf Minuten ältere Grazie, an der Seite der kleinen Vorsitzenden. Die kleinste Grazie, Latti, steht allein – und plärrt gegen dieses Unrecht an. Waffenstillstand und Wiederaufbau gelingen meist nur durch energisches Vermitteln von Außen und unter Anwendung militärischer Drohungen wie jener, dieses Playmobil-Schiff und jene Puppe umgehend ins graue Ghetto zu deportieren. Nein, Herr Augstein, nicht Gaza. Die Mülltonne ist gemeint.
Neulich aber kehrte plötzlich von selbst Frieden ein im Kampfgebiet. Misstrauisch schickte ich mich auf Beobachtermission. Ich stürmte die Treppe hinauf. Die kleine Vorsitzende und her Highness Elea räumten aufreizend nachlässig das kleinere Zimmer der Vorsitzenden auf und ließen sich dabei in Düsenjägerlautstärke von Bravo-Hits beschallen. Grazie Latti bearbeitete derweil tapfer und still das Nachbarterritorium, das so aussah, als habe sich eine Gruppe Lego-Dschihadisten im Kleiderschrank in die Luft gesprengt, nachdem eine kleine Schulklasse ihr Bastelzeug eines kompletten Halbjahrs bereits vorher überall verstreut hatte. Ich wollte dem armen Kind gerade mit einer sehr harschen Resolution zur Seite springen, da sagte mein kleinstes sechsjähriges Mädchen: »Alles ok, Papa, die anderen beiden haben mir Geld dafür gegeben.« Sie zog ihren Geldbeutel aus einem Haufen Chaos und zeigte mir zufrieden einige Münzen. Einen Euro, genau genommen, hatte sie erhalten, aus dem Schatz meines sparsamen und daher reichsten sechsjährigen Mädchens. Und dann räumte sie weiter auf.
Sollte ich schimpfen, weil meine Töchter sich wie Landadelige benehmen? Oder froh sein, weil sie eine Krise mit Hilfe der moralisch unterschätzten Regeln von Angebot und Nachfrage einvernehmlich gelöst hatten? Scheckbuchdiplomatie, dachte ich jedenfalls, als ich die Treppe wieder hinabging, Scheckbuchdiplomatie wird unterschätzt. Morgen lasse ich mir mal wieder vorm Schlafengehen von meinen Mädchen vorlesen. Sie können sich das Buch aussuchen. Vermutlich nehmen sie irgendwas von Ayn Rand. Hatte die eigentlich mal einen Ponyhof?
Solche Kolumnen sind auch in Tobias Kaufmanns Buch »Die kleine Chefin. Ein Trostbuch für versklavte Eltern«, wunderbar illustriert von Meike Haberstock, erschienen – im Eichborn-Verlag, einfach beim Buchhändler Ihres Vertrauens oder im Internet bestellen, zum Beispiel bei amazon bestellen. Das Geschenk für werdende und junge Eltern!