17.07.03

Tobias Kaufmann

Essen für den Holocaust

Screenshot (masskillin.com)

"mass murder"

Screenshot masskilling.com

Vor gut einem halben Jahr beluden palästinensische Terroristen einen Esel mit Sprengstoff, um ihn neben einem israelischen Linienbus in die Luft zu jagen. Das Tier explodierte jedoch zu früh und es gab nur wenige Verletzte. Die allgemeine Erleichterung konnte Ingrid Newkirk nicht teilen. Nach zwei Jahren des Mordens war mit diesem miesen Anschlag für die Präsidentin der internationalen Tierschutzorganisation Peta das Fass übergelaufen. Newkirk schrieb Palästinenserpräsident Arafat einen Brief. Darin forderte sie »seine Exzellenz« auf, an all jene, »die auf ihn hören«, zu appellieren, »Tiere aus dem Konflikt herauszuhalten.« Der Ausgewogenheit halber erwähnte Newkirk in dem Brief selbstverständlich nicht nur den armen Esel, sondern auch die anderen Opfer des Nahost-Konflikts. Die Katzen. Und zwar jene Katzen, die »so gut sie konnten« vor den israelischen Bulldozern flohen, als diese Arafats Amtssitz zu Leibe rückten. Das hatte Frau Newkirk im Fernsehen gesehen. Auf die Idee, Arafat nebenbei noch zu bitten, an all jene, »die auf ihn hören« zu appellieren, dass sie keine unschuldigen Menschen töten sollen, ist die Peta-Chefin nicht gekommen. Natürlich nicht, denn schließlich sei es sei nicht die Aufgabe von Peta, »sich in menschliche Kriege einzumischen.«

In menschliche Ernährungsgewohnheiten mischt sich Peta allerdings sehr wohl ein. Da passt es gut, dass ihre neue Kampagne für veganes Leben zum Kotzen ist. Ihr Titel: »The Holocaust on your Plate«, zu deutsch: »Der Holocaust auf deinem Teller«. Auf den Plakaten werden zum Beispiel ausgemergelte KZ-Häftlinge in Baracken Hühnern in Legebatterien gegenüber gestellt. Auch für den Namen der Website, auf der die Kampagne zu bewundern ist, hat Peta sich etwas ganz besonderes ausgedacht: »masskilling.com«. soll künftig nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland ahnungslose Schnitzelliebhaber – in Veganer-Kreisen zärtlich Tierverbraucher, Leichenfresser, Aasfresser oder kurz und bündig Mörder genannt – über das abscheuliche Tun von Landwirten und Schlachtern aufklären.

Weder Proteste in den USA, noch der böse Verriss, den Süße und ich neulich im ZDF-Magazin »aspekte« gesehen haben, hat Peta Deutschland davon abhalten können, die Kampagne im Herbst oder spätestens Anfang 2004 hierzulande zu starten. Die Kritik sei völlig unbegründet, erklärte mir ein Peta-Sprecher am Telefon, denn: »Es geht uns ganz und gar nicht darum, den Holocaust zu verharmlosen«. Puh, da sind wir aber froh. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte Peta vielleicht wie bei Zigarettenpäckchen einen Hinweis auf seine Plakate drucken. »Bei der Gleichsetzung von Menschen im KZ mit Hühnern geht es uns nur um die armen Hühner, aber keinesfalls um die Herabwürdigung von Menschen, schon gar nicht von Menschen im KZ. Und nebenbei geht es natürlich auch um den ein oder anderen Euro Spendengeld.«

Aber Peta hat sich bereits ein anderes Anti-Missverständnis-Mittel gesucht: Den jüdischen KZ-Überlebenden und Veganer Isaak Singer und dessen Satz: »Für Tiere sind alle Menschen Nazis«. Wenn Singer dies einmal gesagt hat, so die Logik von Peta, ist die Kampagne natürlich okay. Das funktioniert so ähnlich, wie mit dem linksradikalen israelischen Autor Uri Avnery. Dessen exklusive Ansichten zum Staat Israel dienen hierzulande jedem antisemitischen Nahost-Kommentator von der ganz linken »Jungen Welt« bis zur rechten »Nationalen Wochenzeitung« als Vorwand, losschlagen zu dürfen. Getreu dem alten Prinzip: »Seht her, der Jude gibt's ja selber zu.«

Screenshot (masskillin.com)

»to animals, all people are nazis«

Screenshot masskilling.com

Selbstverständlich haben auch Juden das Recht, totalen Blödsinn zu schreiben, ohne dass man dafür gleich alle Juden in Sippenhaft nehmen muss. »Für Tiere sind alle Menschen Nazis« ist ein ebenso auf den ersten Blick hübscher wie auf den zweiten Blick selten dämlicher Aphorismus. Unsere Katze Lilli ist mit Sicherheit anderer Ansicht – aber wahrscheinlich gilt sie nicht mehr als Tier, sondern als Kollaborateur. Ich würde mein Kätzchen auch von einem Herrn Singer ungern als eine Art ukrainischen Lagerpolizisten verunglimpfen lassen, aber ich kann mich nicht mit dem Mann herumstreiten, weil er nämlich seit Jahren tot ist. Und das ist für Peta wiederum ein noch größerer Glücksfall als es Uri Avnery wäre, denn so wird niemand Herrn Singer selbst fragen können, ob er tatsächlich ein Freund der Holocaust-Kampagne ist.

Aber auch ohne die Absolution eines Juden hat Peta zahlreiche Freunde. So ließ sich der Rapper Thomas D. zu dem Statement hinreißen, die Kampagne sei vielleicht noch nicht krass genug. Und ein Blick ins ZDF-Forum lässt dem geneigten Menschenfreund endgültig die Haare zu Berge stehen. »Tier-KZs sind schlimmer als Menschen-KZs. Weil sie ein vielfaches an Leid an leidensfähigen Geschöpfen erzeugen«, ist dort zu lesen. Oder: »Wahrscheinlich gibt es einige, die damals großzügig über die Judendeportationen hinweg gesehen hätten und sich heute über diese Kampagne aufregen.« Trara, so schnell dreht sich der Tofu-Spieß! Wer die Gleichsetzung von Auschwitz und Hühnerschlachthöfen geschmacklos findet, der hätte auch gegen Auschwitz nichts unternommen! Das ist stimmig, denn im ZDF-Forum kann man nachlesen, dass Tierverbraucher sich grundsätzlich nicht für ihre Mitmenschen interessieren: »Entrechten, misshandeln, morden, fressen, ausscheiden – das ist alles was ihr wollt und könnt.« Und Fleischesser und Milchtrinker gehen sogar noch viel weiter: »Wer Tiere quält wird auch leichter in der Lage sein, Menschen zu quälen. Für mich sind z.B. Landwirte zu 99% Tierquäler.«

Dass Tierequälen die Einstiegsdroge zum Menschenquälen ist, gehört zur gesicherten Erkenntnis bei Peta. Ende Juni verschickte die Gruppe eine Broschüre an Stuttgarter Kindergärten und Schulen in einem Stadtteil, in dem es besonders viel häusliche Gewalt gibt. Titel der Broschüre: »Menschen, die Tiere quälen, belassen es selten dabei«. Und in der entsprechenden Pressemitteilung heißt es: »Wenn Väter ihre Kinder oder Frauen verprügeln, dann kommen auch die in der Familie lebenden Haustiere meist nicht ungeschoren davon«.

 Screenshot (masskillin.com)

»walking skeletons«

Screenshot masskilling.com

Die Theorie, dass radikale Tierschützer automatisch bessere Menschen sind, hat sich auch über den Kreis der 750.000 Peta-Mitglieder hinaus offenbar durchgesetzt. An der Uni fand ich neulich eine Broschüre, in der Honig »Bienenerbrochenes« und Eier »Hennenmenstruationsprodukte« hießen. Außerdem gab es darin eine Definition für ein neues »Ismus-Wort«, dem Fetisch aller Soziologie-Studenten. »Speziesismus ist die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Art, so wie Rassismus und Sexismus die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe bzw. zu einem Geschlecht sind. Antispeziesismus ist daher ebenso notwendig wie Antirassismus und Antisexismus.«

Ich bin Speziesist! Weil ich die Interessen der Spezies Menschen über die Interessen der Spezies Huhn setze. Das ist schlimm, aber nicht so schlimm wie das, was Süße auf dem Kerbholz hat. Süße ist ein Mörder. Weil sie als Pseudo-Vegetariern, die kein Fleisch isst, vom Milch-Raub, Eier-Diebstahl und Hühner-Mord profitiert. Ohne diese Tatbestände könnte sie weder Käse noch Kekse konsumieren. Und für den echten Veganer-Aktivisten sind Typen wie Süße bekanntlich noch schlimmer als ein mieser Leichenfresser wie ich. Das ist wie früher bei den Kommunisten, denen ein echter Nazi auch lieber war, als ein verräterischer Sozialfaschist.

Auch Hitler aß gerne Fleisch. Ja, sie lesen richtig. Auf der Homepage des Deutschen Vegetarierbundes räumt Rynn Berry in einem Essay mit dem Vorurteil auf, Hitler sei Vegetarier gewesen. Dies könne nicht nur deshalb nicht sein, weil es Beweise für den gelegentlichen Fleischkonsum des Massenmörders gibt, sondern, weil Hitler sich nicht entsprechend benommen hat: »Darüber hinaus hätte er es sicher nicht versäumt und der deutschen Bevölkerung eine fleischfreie Ernährung verordnet – immerhin hätte er damit die Nahrungsmittel-Knappheit im II. Weltkrieg bewältigt.« Was Berry damit sagen will? So wie alles andere, was Hitler der »deutschen Bevölkerung verordnet« hat, rational begründbar und richtig war, wäre es auch ein NS-Fleischkonsumverbot gewesen. Es sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass die Nazis gleich zu Beginn ihrer differenziert zu betrachtenden Regierungszeit strenge Tierschutzgesetze erließen. Dass sie das Schächten wegen angeblicher Grausamkeit verboten haben und dass sie Kampagnen gegen die »Tierversuche der jüdischen Schulmedizin« starteten, deren praktische Folge bekanntermaßen Versuche der arischen Schulmedizin an jüdischen Menschen waren.

Trotzdem finde ich, Berry greift zu kurz. Auch Peta hat nichts begriffen. »Holocaust auf deinem Teller« ist bienenerbrochene Effekthascherei gegen den einen großen Zusammenhang, der mir beim Lesen all der Peta-Tierschutzfaktenblätter plötzlich klar geworden ist. Wäre Hitler Veganer gewesen, hätte es den II. Weltkrieg nicht gegeben! Und wegen der fleischfreien Ernährung, die Hitler den Deutschen verordnet hätte, hätte es auch keine Massentierhaltung gegeben und deshalb keine KZs und keinen Holocaust und deshalb keinen Staat Israel und keinen Nahost-Konflikt und der palästinensische Esel würde noch immer friedlich Körbe mit Oliven durch Ramallah tragen. Und Ingrid Newkirk würde vielleicht gerade in diesem Moment eine Adolf-Hitler-Gedenk-Briefmarke mit 10 Cent Spendenanteil für Peta auf einen Liebesbrief an Yasser Arafat kleben. Oh, wäre doch nur jemand dem Führer beim Grillen in den Arm gefallen!