20.12.05

Tobias Kaufmann

Der tut nix!

Berlin hat Hundgeruch. Der Wind weht mir den schlechten Atem der Hauptstadt ins Gesicht, während ich in meinem strahlend weißen Geißbock-Trikot durch den Park laufe. Köterkot bedeckt Wege und Wiesen so weit das Auge reicht. Kleine, schwarze Häufchen und dicke, rote Berge von unterschiedlicher Konsistenz, manche selbstbewusst mitten auf dem Bürgersteig, manche heimtückisch unter welkem Laub verborgen. Rund 4,5 Millionen Hunde leben in diesem Land, angeblich könnte man mit ihren Exkrementen jährlich einen 60 Kilometer langen Güterzug füllen. Aber leider koten Hunde nicht in Güterzüge, sondern überall hin. Und wir tragen die Haufen unter Schuhsohlen, an Fahrrad- und Kinderwagenreifen weiter.

Natürlich wäre es gemein, das deutsche Synonym für »Vierbeiner« auf seine Ausscheidungen zu reduzieren. Es gibt genügend andere Dinge, die ich an Hunden herzlich unsympathisch finde. Ihr Fell stinkt, wenn es nass wird. Sie sabbern. Sie hecheln. Sie lecken und schnüffeln überall herum, kurz: sie sind unappetitlich. Sie sind im Vergleich zu Katzen so schrecklich aufgeregt. Viele bellen, manche beißen und einige tun, entgegen dem Sprichwort, beides. Die meisten sehen zudem komisch aus. Viele humpeln, haben tränende Augen oder können keine Treppen steigen, weil genetische Defekte, die bestimmte Menschen schön finden, immer weiter gezüchtet wurden. Die edelsten Exemplare sind dank einer langen Geschichte familieninterner Fortpflanzung komplett verblödet und krank – der lebende Beweis dafür, dass Reinrassigkeit in der Natur kein Qualitätsmerkmal ist, auch wenn verstockte Rassisten und Nazis das Gegenteil behaupten. Wenn Hunde schlecht erzogen sind, springen sie freudig Leute an, jagen Jogger, Briefträger oder Kinder. Ich traue ihnen nicht. Sie sind Kriecher, die nach oben kuschen und nach unten wegbeißen. In diesem Punkt sind Hunde sehr deutsch.

Das schlimmste an ihnen sind jedoch ihre Besitzer. Nehmen wir jene vornehmen Damen als Beispiel, die zwar gegen genetisch manipulierte Tomaten sind, aber sich nichts dabei denken, Rehpinscher hinter sich her zu ziehen: kleine Ratten, die aussehen wie Rehe. Wer kein Hundehasser ist, sondern wie ich ein aufgeklärter Hundeskeptiker mit Urängsten vor aufdringlichen Fellträgern, muss zugeben, dass sie für das meiste, was sie zum Feindbild macht, nichts können. Unterhalb einer Elite engagierter Hundekenner tummeln sich Millionen von Menschen, die lieber Kakteen oder Gartenzwerge Gassi führen sollten. Was können die Tiere dafür, wenn ihre Besitzer sie überall hinkoten lassen? Was können sie dafür, dass dieses öffentliche Ärgernis mit einem Maß an bürgerlicher Toleranz übergangen wird, das jede menschliche Minderheit vergeblich für sich proklamiert?

Fassungslos erleben Ausländer, dass die sprichwörtliche deutsche Reinlichkeit den Umgang mit den Exkrementen ihrer vierbeinigen Lieblinge ausnimmt. Deutsche Bürgerbewegungen fordern Ampeln oder reißen Genmais aus, aber niemand wehrt sich dagegen, dass ganze Städte mit Ausscheidungen vermint sind. Rentner verpetzen Falschparker und halten Radfahrern in der Fußgängerzone Krückstocke in die Speichen. Aber wo sind diese Rentner, wenn man sie braucht? Warum lauern sie nicht in den Büschen und pöbeln Mitbürger an, wenn diese ihren Köter fürs Geschäft in den Park dirigieren? Dabei ist dies eine Ordnungswidrigkeit, die etwa in Köln mit hohen Geldbußen verbunden ist.

Würde ich eine Ich-AG gründen, die im Auftrag des Senats Strafzettel an unverbesserliche Hundausführer verteilt, dann könnte ich von den Einnahmen allein in unserem Wohngebiet einen fürstlichen Lebensstil finanzieren und Millionen in die klammen öffentlichen Kassen spülen. Denn viele angebliche Tierliebhaber gehen irrtümlich davon aus, dass sie sich mit der Hundesteuer ein deutschlandweites Sch... Privileg erkauft haben. Und viel zu wenige Hausbesitzer haben Schilder am Zaun hängen wie jenes, das ich kürzlich in Berlin gesehen habe: »Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen auch mal vor die Tür scheiße, nehmen Sie Ihren Hund hier weg!«

Das Schilderprivileg haben die Herrchen. An unzähligen deutschen Gartentoren prangt eine unverblümte »Warnung vor dem Hunde«. Warum öffnen Briefträger und andere Besucher solche Türen überhaupt? Sollen sich die Besitzer dieser Schilder ihre Post doch selbst abholen oder von ihrem Hund bringen lassen! Der Tiefpunkt sind Warnhinweise, die auch noch witzig sein sollen. »Wenn Hund kommt, flach hinlegen und auf Hilfe warten. Wenn keine Hilfe kommt... viel Glück!« Haha. Sowas geht als Humor durch. Ein Sticker mit dem Text »Wenn Hund kommt, knall ich ihn ab« dagegen gilt als politisch unkorrekt.

Viele Hundebesitzer leben in einem Paralleluniversum, wenn es um ihre Lieblinge geht. Sie schaffen sich Tiere an, die überhaupt nicht zu ihrem Lebensstil passen,. Sie halten arktische Schlittenhunde nur wegen deren schönen Augen in 2-Zimmer-Wohnungen im sonnigen Freiburg. Die Höhepunkte des Hundeswahns bewundere ich regelmäßig in Dokumentationen im Privatfernsehen. Menschen laufen dort neben Dackeln mit Schleifchen im Haar her, um sie an der Leine über Geschicklichkeitsparkours zu führen. Diese Menschen wollen ernstgenommen werden, obwohl sie ihre Pudel shampoonieren und ihnen Frisuren bürsten, die zur adeligen Abstammung der Tiere passen. Neulich habe ich sogar eine »Tier-Nanny« gesehen, die neurotische Hunde psychologisch behandelt. Bisher dachte ich, sowas gibt es nur für Menschen wie Madonna, deren Hunde auf der 5th Avenue einkaufen und Kabbala-Bänder um den Hals tragen. Aber im sozialdemokratisierten Deutschland fühlt sich auch Fiffi aus Wanne-Eickel etwas matt und braucht dringend eine Akupunktur. Zahlt das die Kasse? Im Kaufhaus zuckelte gestern eine ältere Dame an mir vorbei, die eine Art Schlitten mit Rollen hinter sich herzog. Aus den Stofftaschen des Gefährts glotzten mich zwei vollbekleidete Yorkshire-Terrier an. Wenn Viecher mit dem Erbgut von Rudeljägern als Hamster herhalten müssen, ist es kein Wunder, dass sie psychologische Hilfe benötigen. Wobei die effektivere Therapie wäre, einfach die Besitzer auf die Couch zu legen.

Wider besseres Wissen behaupten Hundemenschen Dinge wie »Der spielt nur« oder »Der tut nix«. Wenn meine zweieinhalbjährige Tochter vor einem Schäferhund zurückweicht, hebt Herrchen den Zeigefinger und sagt: »Die Angst kommt nicht vom Kind, sondern von seinen Eltern«« – eine infame Lüge, denn die Mutter dieses hundeskeptischen Kindes liebt Hunde. Aber sowas wollen Hundefreunde beim Gassigehen gar nicht wissen. Sie gehen davon aus, dass ihre Neigung natürlich, vielleicht sogar gottgewollt ist. Heute, wo die Tiere in den meisten Fällen keinerlei praktischen Nutzen haben, schon gar nicht in Großstädten, darf man sich aber ruhig einmal daran erinnern, dass die Menschen über Jahrtausende ziemlich gut ohne Kläffer ausgekommen sind. Trotzdem ist die Parole, der Hund sei der beste Freund des Menschen, nicht totzukriegen. Menschen wie ich, die darauf hinweisen, dass ihr bester Freund weder sabbert noch auf Gehwege kotet, werden von Herrchen und Frauchen mitleidig belächelt.

Wenn ich beim Joggen von einem freilaufenden Hasso gestellt werde, spazieren dessen Eigentümer meist enervierend gemütlich heran. »Wieder so ein armes Opfer der Moderne, dessen gesunde Urinstinkte vom krankhaften Moloch der Zivilisation verschüttet wurden«, sagt ihr Blick, weil ich es an der gewünschten Begeisterung mangeln lasse, während Hasso an meinen Socken nagt. Manchmal überlege ich dann, Frauchen an meine verschwitze Brust zu ziehen und ihr mit meiner belegten Zunge gründlich übers Ohr zu schlabbern. Doch bisher habe ich der Versuchung stets widerstanden. Diese zivilisationsverdorbenen Spießer würden meine Geste nicht verstehen.

Fotos: Schilder und Hund

Der Hund oben rechts wollte wirklich nur spielen. Aber in Großstädten gibt es nur eins, was mehr nervt als Hunde: ihre Besitzer

Foto oben rechts von Gerald Sagorski
(andere Fotos von Guido Grigat)