21.07.06

Tobias Kaufmann

Die vierzehnte Babykolumne:
Gott und die Beinchen

Die kleine Vorsitzende will es wissen. »Waruhum?«, ist ihre Standardfrage. »Guck mal, da ist ein Bus.« »Waruhum?« »Weil er an der Haltestelle halten muss.« »Waruhum?« »Damit die Leute einsteigen können.« »Waruhum?« »Weil es ihnen zu weit ist, zu Fuß zu gehen.« »Waruhum?« »Ach, Maus, einfach darum.« Jael denkt kurz nach. Dann kontert sie mit der Steigerung von »Wahurum?« »Warummi?«

Wenn man nicht aufpasst, manövriert man sich bei der ständigen Fragerei versehentlich in eine Situation, aus der man schwer wieder herauskommt. Generationen von Eltern erzählen Geschichten, wie sie von einem Kind in die Enge getrieben wurden. Meist dreht es sich dann um Themen wie Sex (»Mama, warum hat Papa gestern Nacht so gegrunzt?«), Politik und Gesellschaft (»Papa, warum ist der Mann da drüben schwarz? Kann der sich nicht abwaschen?«) oder Hochtechnologie (»Mama, was ist Schubumkehr?«).

Aber auch über die Frage, warum dort drüben ein Bus steht, lässt sich trefflich diskutieren. So spazieren wir zum Kindergarten, ein Wort gibt das andere, doch plötzlich bleibt meine Tochter jammernd stehen. »Hab ein Aua!« »Wo denn?« »Hier, am Beinchen.« Offenbar hat sie sich den Fuß vertreten, als sie eben von der Bordsteinkante hüpfte. Oder da ist mal wieder eine aufgekratzte Stelle. Ich kann jedoch auf den ersten Blick keinerlei Verletzung erkennen. »Das ist bestimmt nicht schlimm. Wenn wir gleich im Kindergarten sind, gucke ich es mir mal genau an, ja?«, schlage ich vor.

Die kleine Vorsitzende ist einverstanden und geht weiter. Ich freue mich bereits heimlich darauf, an der himmlisch knackigen Wade meiner Tochter knabbern zu können, doch offenbar kann Jael jetzt auch noch Gedanken lesen. Sie bleibt abrupt stehen und droht mir mit dem Finger. »Aber nicht auffressen das Beinchen, okaaay?« Ich verspreche es. »Das geht ja gar nicht«, sagt die kleine Vorsitzende, um zu erklären, weshalb sie diesmal die Neckerei ablehnt, die wir »Auffressen« nennen. »Meine Beinchen sind angeklebt, die gehen ja gar nicht ab.« »Angeklebt?« Eifriges Kopfnicken. Gleich sind wir da. Mein Mädchen wirkt nachdenklich. Plötzlich fragt sie: »Papa? Wer hat eigentlich meine Beinchen angeklebt?«

Gute Frage. »Äh, das war Gott«, sage ich, verwundert über mich selbst. »Häääääh?« fragt Jael. »Es war GOTT, der deine Beinchen angeklebt hat, mein Schatz.« »Ähäääh«, sagt die kleine Vorsitzende. Dann fragt sie mit sorgenvollem Blick: »Warst du dabei, als Gott mir die Beinchen angeklebt hat?« Ich schweige und konzentriere mich darauf, Jaels Hausschuhe zu suchen. Das ist wohl das beste, wenn die eigene Tochter befürchtet, man habe sie mit dem lieben Gott allein gelassen.

»Babykolumnen« von Tobias Kaufmann:

  1. Bob der Bär
  2. Guten Morgen Deutschland
  3. Nagenakknakk dejööööh rkjnok
  4. Häusliche Gewalt
  5. Chrissodaum
  6. Toooor!
  7. Selba!
  8. Auf Tournee
  9. Mein fremdes Kind
  10. Enthüllungen über Folterpapa
  11. Köff, Köff!
  12. Papa allein zu Haus
  13. Mussa nicha weinen!
  14. Gott und die Beinchen
  15. Passende Paprika
  16. Hesus von Köln
  17. Staatsbesuch
  18. Alles für die Forschung
  19. Ein Pferd für die Königin

Ab hier nennen wir es »Kolumnen mit der Kleinen Vorsitzenden« von Tobias Kaufmann:

  1. Mama sieht nicht schön aus
  2. Mit der Einschulung beginnt der Ernst des Lebens. Fragt sich nur, für wen.
  3. Scheckbuchdiplomatie

Solche Kolumnen sind auch in Tobias Kaufmanns Buch »Die kleine Chefin. Ein Trostbuch für versklavte Eltern«, wunderbar illustriert von Meike Haberstock, erschienen – im Eichborn-Verlag, einfach beim Buchhändler Ihres Vertrauens oder im Internet bestellen, zum Beispiel bei amazon bestellen. Das Geschenk für werdende und junge Eltern!