22.06.03

Tobias Kaufmann

Absturz in Klischeenien

Es war mucksmäuschenstill in unserem Wohnzimmer. Wir hatten uns eine Sammlung illustrer 11.September-Skeptiker eingeladen, in Form der WDR-Dokumentation »Aktenzeichen 11.9. ungelöst«. Das erste Drittel des 45 Minuten langen Films war vergangen und hatte begonnen, uns zu überzeugen. Starr und stumm lauschten wir Fragen über Fragen zum 11.September. Kritische Fragen. Gestellt von dem Journalisten Gerhard Wisnewski, dem Filmemacher Willy Brunner und den im Film als Protagonisten begleiteten Mitgliedern von »Unanswered Questions«, einer Gruppe die sich fragt: Ist der spektakulärste Terroranschlag der Weltgeschichte doch ganz anders verlaufen, als allgemein behauptet? Waren es doch keine arabischen Kamikaze-Piloten, die ins World Trade Center steuerten? Lügt die US-Regierung auch zu diesem Thema, dass sich die Balken biegen?

Gerade legte der Film zum wiederholten Male nahe, das vierte Flugzeug sei definitiv nicht in Shanksville, Pennsylvania abgestürzt. Das Loch sei zu klein, nicht tief genug und außerdem keine Spur von Trümmern zu sehen gewesen. Plötzlich sagte Süße: »Naja, dazu hätte ich schon gerne mal die Aussage eines Experten.« Bumm! Ein gemeiner Satz. Denn er droht die geheimnisumwitterte Horrorshow auf unserem Bildschirm in nur wenigen Sekunden zu pulverisieren.

Wir stürmen zum Computer. Dankenswerter Weise schildert uns Gerhard Wisnewski den Sachverhalt noch einmal umfassend auf seiner Homepage: »Genau ein solcher Beleg sind die Äußerungen des Bürgermeisters des nahe der Absturzstelle gelegenen Städtchens Shanksville. Er wiederholt im Film mehrmals ausdrücklich, dass dort kein Flugzeug gewesen sei und wird von mir dazu auch wiederholt ungläubig befragt, nur um diese Tatsache erneut zu bestätigen. Dieser Zeitzeuge ist nicht nur dort beheimatet und kennt dort quasi jeden Stein persönlich, sondern ist auch Feuerwehrmann und daher mit Unfallstellen vertraut.« Ja, das klingt überzeugend. Wie es aussieht, wenn sich eine betankte Maschine aus Reiseflughöhe im Sturzflug in die Erde gräbt, weiß schließlich jeder freiwillige Feuerwehrmann aus Erfahrung, der schon einmal gesehen hat, wie ein Fiat mit 90 Sachen gegen einen Baum fährt. Zumal, wenn er am Unfallort quasi jeden Stein persönlich kennt. Und Wisnewski hat noch mehr zu bieten.

Ein Leichenbeschauer wird gezeigt. Für einige Sekunden steht er vor der angeblichen Absturzstelle und sagt den kurzen Satz: »Da war kein einziger Tropfen Blut.« Aus. Mich ärgert, dass Süße gewohnt unqualifiziert ausruft: »Wenn ich ein Steak durchbrate ist da auch kein Blut!« Der Experte taucht nie wieder auf, um zu erklären, welche Dimension seine Beobachtung hat und wie sehr Süße irrt, denn sein Auftritt ist an der zitierten Stelle geschnitten und bestätigt so Wisnewskis Thesen durch einen ahnungsvollen Widerhall: »Oh Gott, kein Blut. Wir sind alle belogen worden.«

Darüber hinaus wollen wir nicht kleinlich sein, denn Wisnewski legt auf seiner Homepage noch mal nach: »Um zu sehen, dass sich in Shanksville kein Flugzeugwrack befand, benötigt man ebensowenig einen Experten, wie für die Feststellung, ob es heute regnet oder nicht. Zur Bestätigung von Trivialitäten sind Experten nicht erforderlich, sonst wird eine Dokumentation lächerlich...«

Genau. Und richtig gute Dokumentarfilmer wie die Macher von »Aktenzeichen 9.11. ungelöst« schaffen es schließlich auch ohne Experten, sich lächerlich zu machen. Zum Beweis, dass auch ins Pentagon nie ein Flugzeug stürzte, wird John Judge vor die Kamera gezogen. Wer er ist, sagt uns der Film nicht, aber wir haben ja noch Wisnewskis Homepage. Judge ist »Gründer der Coalition on Political Assassinations«, und um solche geht es ja im Fall des 11.9., war nicht »einmal« im Pentagon, sondern ging dort jahrelang fast täglich ein und aus, da seine Eltern hohe Angestellte des Verteidigungsministerium waren. Ein Intimkenner des Pentagon also, der uns erzählt, bei einem dieser Besuche habe er sich auf eine silberne Kiste im Innenhof setzen wollen, doch sein Vater sagte: »Setz dich da nicht hin, da sind Flugabwehrraketen drin.« Schnitt, Schluss mit Judge. Was uns die mindestens 30 Jahre alte Anekdote sagen soll?

Es ist nur eine der vielen »unanswered questions«, die mittlerweile unser Wohnzimmer bevölkern. Die meisten stellen wir selbst in den Raum, wo sie bleiben, vom Film auf dem Bildschirm nicht beantwortet. Wenn es kein Flugzeug war, das ins Pentagon raste – was hat dann die Laternen vor dem Gebäude abgerissen? Wenn kein Flugzeug auf Shanksville stürzte – wohin stürzte es dann? Und: Sind diese Fragen nicht Peanuts, gegen die ganz große Frage: Wer flog ins World Trade Center? Immerhin, soviel erfahren wir, Araber waren es in keinem Fall. Weil die nämlich auf den veröffentlichten Passagierlisten gar nicht drauf standen. Zum Glück kommt kein Sprecher von United Airlines zu Wort, der uns das erklären könnte. Das wäre ja lächerlich. Außerdem, so vernehmen wir, sei es unmöglich, dass Mohammed Atta ohne 2000 Stunden Flugerfahrung ein derart kompliziertes Flugmanöver ausführen konnte. Was daran kompliziert ist, eine Passagiermaschine mit 30 Metern Spannweite, die sich bereits in der Luft befindet, in die höchsten und größten Gebäude von New York zu steuern, wird uns – gottseidank – nicht von einem Piloten oder einem ähnlichen Spinner erklärt. Unheilvoll sagt die Sprecherin von »unanswered questions« stattdessen: »Man muss sich immer fragen: Cui bono? Wem nützt es? Und der Anschlag vom 11. September hat einer ganzen Menge Leute genützt, die eine Menge Geld damit verdient haben.« Puh, was waren wir froh, als wir am Ende des Films feststellten, dass uns die Namen und die genauen Geschäfte der 11.9.-Profiteure nicht mal im Ansatz verraten wurden. Die Fluggesellschaften, die daran pleite gingen, werden es wohl nicht gewesen sein. Oder doch? Schließlich legte uns der Film ja auf seinem Höhepunkt auch nahe, dass die US-Regierung den Anschlag selbst verübt hat. Wir erfahren, die CIA habe schon 1962 geplant, eine Maschine mit als Urlaubern verkleideten Agenten starten, geheim landen, durch eine leere, ferngesteuerte ersetzen und letztere dann abstürzen zu lassen, um den ganzen Schlamassel Cuba in die Schuhe schieben zu können. Und weil Kennedy das damals abgelehnt hat, so die schlüssige Folgerung, feierte der Plan am 11.9.2001 fröhlich Urständ. Wo die Flugzeuge und vor allem ihre Passagiere sind, um die viele Angehörige nach wie vor weinen – Wisnewski versucht gar nicht, diese Frage zu beantworten. Und warum überhaupt George W. Bush diese Ungeheuerlichkeit aushecken sollte, die 3000 Landsleute das Leben kostete? Na, das liegt doch auf der Hand. Um Afghanistan angreifen zu können. Schließlich hat der Irakkrieg gezeigt, dass es eine schlüssige Begründung braucht, wenn die USA ein Land angreifen wollen. Das gilt für ein strategisch und finanziell so exorbitant bedeutendes Gebiet wie den Hindukusch umso mehr. Spätestens der Umstand, dass das FBI so kurz nach der Tat eine Täterliste vorlegte, auf der unter 19 Namen nicht weniger als 15 Saudis waren, ist ein Indiz für diesen Zusammenhang. Wer sich fragt, warum das FBI dann auf seine gefälschte Liste nicht gleich 15 Afghanen geschrieben hat, beweist nur, dass er von Verschwörungen keine Ahnung hat.

Wisnewski dagegen kennt sich aus. Er platziert wie zufällig das Titelblatt seines eigenen Buches »Operation 11.9.« im Film. Und auf seiner Homepage, lesen wir zum Thema Terrorismus: »Erst das World Trade Center, dann diverse kleinere Anschläge, zuletzt auf einen französischen Tanker und auf das Inselparadies Bali: Der Reichstag brennt weiter.«

Gerhard Wisnewski hat vor einigen Jahren an einem sehr guten Buch mitgeschrieben. »Das RAF-Phantom« legte eine durchaus schlüssige Indizienkette dafür vor, dass es die »3. Generation« der RAF nie gegeben hat. Auch die Frage »Wem nützt es?« wird darin zumindest zum Teil beantwortet.

Dieser Schlüsselfrage aller Verschwörungstheoretiker ist Wisnewski nun offenbar selbst zum Opfer gefallen. Wer die »Dokumentation« nicht gesehen hat, könnte vermuten: Wisnewski hat für seinen Film eine dicke Stange Geld vom WDR bekommen. Und er ist offenbar vor lauter Verschwörungstheorien verrückt geworden. Doch wer ihn gesehen hat, dem wird die unheilvolle Frage auf den Nägeln brennen: Wem nützt dieser Film? Es gibt keine Belege dafür, aber auch das hindert die düsteren Ahnungen nicht, sich ihren Weg zu bahnen: Hat der WDR für diesen Film vielleicht eine dicke Stange Geld von arabischen Geheimdiensten kassiert? Herr Wisnewski, übernehmen Sie!