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»Wir Künstler« vorgetragen von Tom Wendt
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25.10.04

Tobias Kaufmann

Wir Künstler

Süße und ich haben beschlossen, noch zu Lebzeiten reich und berühmt zu werden. Die Idee kam uns neulich beim Fernsehen. Es lief ein Bericht über die umstrittene Ausstellung des Kunstmäzenen und Millionenerben Friedrich Christian Flick. Flick ist zwar einerseits zu knauserig, um in den Fonds zur Entschädigung von Zwangsarbeitern einzuzahlen, denen die Familie Flick einen nicht unerheblichen Teil ihres Vermögens verdankt, andererseits gibt er aber mit vollen Händen Geld für moderne Kunstwerke aus – »Blutgeld«, wie Salomon Korn vom Zentralrat der Juden ätzte, aber auf Flicks Kreditkartenabrechnung wird das vermutlich etwas neutraler formuliert. Einen Teil der modernen Kunst, die Herr Flick in den letzten Jahren von überall her zusammengetragen hat, wird derzeit in Berlin ausgestellt – und ich bin der letzte, der dagegen öffentlich herumpolemisieren wird, denn je mehr Platz Herr Flick hat, desto mehr Exponate braucht er. Die muss er irgendwo kaufen und damit sind wir auch schon bei dem Plan, den Süße und ich ausgeheckt haben, um noch zu Lebzeiten reich und berühmt zu werden.

»Um als Künstler noch zu Lebzeiten reich und berühmt werden zu können, braucht man einen Mäzen«, hat die Künstlerin im Fernsehen gesagt. Sie schafft Videoinstallationen, große, bunte Videoinstallationen. Normalerweise verkaufen die sich ziemlich schlecht, weil ein Wohnzimmer, in dem eine Videoinstallation steht, signifikant an Wohnwert verliert. Wer will schon immer einen blauen Scheinwerferkegel im Gesicht haben, sobald man sich aufs Sofa setzt? In unserem Fall ist die Anschaffung einer Videoinstallation schon deshalb außerhalb jeder Diskussion, weil unser achtzähniges Mädchen jederzeit willens und in der Lage wäre, sie zu betatschen, einzuspeicheln, mit Bauklötzen zu verzieren oder sonstwie unbrauchbar zu machen und das teure Stück schließlich umzuwerfen. Zum Glück ist die Künstlerin im Fernsehen nicht auf uns angewiesen, denn Friedrich Christian Flick reißt ihr jede ihrer Installationen aus den Fingern, sobald sie installiert sind. Und er zahlt gut.

Außer den Videoinstallationen waren noch folgende Ausstellungsstücke zu sehen: Rote Sofas, die so groß sind, daß man sich darin wie eine Spielzeugpuppe fühlen muss. Rote Metall-Mülleimer, aus denen geschreddertes Papier quillt. Und große, eiterfarbene Brocken, die in der Ecke herumliegen. »Guck mal, Pappmaschéehucken«, rief Süße entzückt. »Das mache ich dem Flick aber auch.«

Seitdem sind wir Künstler. Die Malerei haben wir gleich gelassen – diese Ausdrucksweise ist uns zu zweidimensional. Wir wollen porös sein, unsere Ideen fließen lassen. Süße hat deshalb unseren Mikrowellenteller zerschmissen und die Scherben mit einer Tulpenzwiebel und einer vollen Windel von Jael in einen Blumentopf gefüllt, hinter den sie ein Plakat mit der Aufschrift »Neuland« hängte. Dann hat sie mit einem scharfkantigen Davidstern einen Schluss-Strich um das Exponat gezogen. Jael hat in einer ausgesprochen modernen Interpretation einen Babyschnuller und Katzenfutter in einem kleinen Blechnapf zusammengeführt. Ich selbst habe die Mülleimeridee erweitert und ließ meinen Papierkorb von zerrissenen Steuererklärungen, Schokoladenverpackungen und Socken überquellen. Leider ist mein Mülleimer braun, nicht rot, aber wenn ich die Kommentatoren nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg richtig verstanden habe, ist das ja sowieso dasselbe.

Derzeit lasse ich Süße und Jael in alter Flickscher Familientradition im Akkord heiße Granaten schweißen, die wir in grüner und roter Götterspeise versenken. Ich habe mir vorgenommen, wortlos den Raum zu verlassen und die Tür hinter mir zuzuschmeißen, wenn bei meinem ersten Interview als Künstler der Lokalreporter fragen sollte, ob wir mit der Granateninstallation gegen die deutschen Panzerlieferungen an die Türkei protestieren wollen. Alles, was uns jetzt noch fehlt, um zu Lebzeiten reich und berühmt zu werden, ist ein Mäzen. Damit Herr Flick endlich auf uns aufmerksam wird, hat Süße gestern ein halbes Dutzend riesige Pappmaschéehucken gebastelt und sie an verschiedenen Bushaltestellen vergessen.

Eine Multimedia-Installation mit Bild, Klang und Musik zu schaffen, indem ich drei Videobeamer in einen blutbefleckten Kunstharzblock einschweiße, die abwechselnd Michael Moore, George W. Bush und Usama Bin Laden an die Wand projizieren, denen eine (auf dem Kopf!) kahlrasierte Domina mit dem ersten Band von »Das Kapital« den Hintern versohlt, während auf einem Bildschirm daneben ununterbrochen Tore von Toni Polster zu sehen sind, zu denen man – Achtung, intellektuelle Brechung des Erwarteten – das »Bäng!« eines satten Pfostenschusses hört, untermalt von Glockengeläut und – Achtung, Multikulti-Ansatz – dem Geschrei eines Muezzins, das ganze umrahmt vom »Bonduelle«-Marsch (»Der Mais, der Mais, der Mais marschiert...«) – diese Idee habe ich zunächst verworfen. Sie scheint mir zu gewöhnlich.