27.08.05

Tobias Kaufmann

Die siebte Babykolumne:
Selba!

Die kleine Vorsitzende ist schon groß. Sie kann alles »selba!« Mit dieser Parole streckt sie mir beim Haarewaschen in der Badewanne neuerdings ihre Händchen hin. Ich muss ihr einen Tropfen Shampoo geben, den sie euphorisch auf dem Kopf verrubbelt. »Harewasse, harewasse mussa jede Kiiiiind« singt mein Mädchen dazu.
Ich muss mitsingen. »Haarewaschen, haarewaschen muss ein jedes Kind, haarewaschen, haarewaschen geht nicht so geschwind. Und sind sie erstmal sauber, ja – Verflixt...« (Die kleine Vorsitzende patscht entrüstet ins Badewasser) »...dann ist kein Handtuch da!« Erst danach darf ich noch einmal gründlich nachwaschen. Beim Eincremen gilt das selbe. »Selba!« Wehe, wir behandeln die kleine Vorsitzende immer noch wie ein Baby! Dann flippt sie aus. Joghurt, den ich ihr – wie früher – in den Mund löffeln will, verschmäht sie. Sie kneift die Lippen zusammen, schüttelt den Kopf und fegt den Becher vom Tisch, begleitet von einem zornigen Schrei. »Seeelbaaa!« Wenn sie ihn mit dem eigenen kleinen Löffel höchstselbst aus dem Becher kratzen und in den Mund schieben darf, schmeckt derselbe Joghurt plötzlich köstlich. Wir sitzen daneben und gucken zu. Stolz, weil Jael schon so viel kann. Aber auch ein bisschen wehmütig. »Morgen zieht sie aus«, sagt Süße dann manchmal und seufzt.

Aber noch braucht sie uns. Das Problem an unserer fast schon erwachsenen zweijährigen Tochter ist nämlich, dass sie zwar alles »selba« machen will, es aber nicht ertragen kann, wenn dabei etwas schief geht. Es geht regelmäßig etwas schief. Ein verkleckerter Tropfen Joghurt reicht aus, um einen Wutanfall zu verursachen. Der Becher fliegt in die Ecke, der Löffel auf den Boden, das Lätzchen wird in der Faust zerknüllt und aus dem eben noch vergnügten großen Mädchen wird ein zornbebendes kleines Mädchen. Dann dürfen wir Tränchen wegwischen, den Joghurtbecher aufheben, einen neuen Löffel holen und die dankbar seufzende kleine Vorsitzende füttern, wie früher.
Eine ganze Minute lang. Dann streckt sie die Hand aus und sagt: »Selba!«

»Babykolumnen« von Tobias Kaufmann:

  1. Bob der Bär
  2. Guten Morgen Deutschland
  3. Nagenakknakk dejööööh rkjnok
  4. Häusliche Gewalt
  5. Chrissodaum
  6. Toooor!
  7. Selba!
  8. Auf Tournee
  9. Mein fremdes Kind
  10. Enthüllungen über Folterpapa
  11. Köff, Köff!
  12. Papa allein zu Haus
  13. Mussa nicha weinen!
  14. Gott und die Beinchen
  15. Passende Paprika
  16. Hesus von Köln
  17. Staatsbesuch
  18. Alles für die Forschung
  19. Ein Pferd für die Königin

Ab hier nennen wir es »Kolumnen mit der Kleinen Vorsitzenden« von Tobias Kaufmann:

  1. Mama sieht nicht schön aus
  2. Mit der Einschulung beginnt der Ernst des Lebens. Fragt sich nur, für wen.
  3. Scheckbuchdiplomatie

Solche Kolumnen sind auch in Tobias Kaufmanns Buch »Die kleine Chefin. Ein Trostbuch für versklavte Eltern«, wunderbar illustriert von Meike Haberstock, erschienen – im Eichborn-Verlag, einfach beim Buchhändler Ihres Vertrauens oder im Internet bestellen, zum Beispiel bei amazon bestellen. Das Geschenk für werdende und junge Eltern!