29.01.02

Tobias Kaufmann

Was Sie schon immer mal über Israel hätten wissen sollen ...

Ich habe die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten kennengelernt. Sie heißt mit Vornamen Netta und mit Nachnamen genau wie die Höhen, die Israel im letzten Krieg von Syrien erobert hat: Golan. Manche Israelis, Rechte oder Siedler zumeist, machen sich seitdem einen Spaß daraus, die Syrer mit einem kleinen Autoaufkleber zu ärgern: »Israel – das Volk mit den Golan« steht darauf.

»Ha! Haben wir ja schon immer – zumindest seit der HJ – gewusst, dass die Juden zwanghaft ihre Nachbarn ärgern«, werden einige ältere Mitbürger jetzt ausrufen. Wer von den Jüngeren an Opas alten Weisheiten zweifelt, braucht sich nur einmal mit Netta Golan zu unterhalten, die glaubt grundsätzlich alles, was gegen das eigene Land geht. Die Golan ist Mitte 20, eigentlich Israelin, sieht aber aus wie die Tochter eines grünen Lehrer-Ehepaars aus Münster. Von Beruf ist sie Kollaborateurin. Sie nennt sich allerdings vorsichtshalber »Peace Activist« – auf sowas stehen ausländische Medien, gerade in diesen Zeiten. In anderen Zeiten wäre Netta Golan eine unbekannte junge Frau mit etwas seltsamen Ansichten und jener grundsätzlichen Opposition gegen alles, was der eigene Staat macht, die sich mit der Zeit verwächst. In diesen Zeiten ist Netta Golan ein Medienstar, der sich, wenn wieder einmal aus Häusern im palästinensischen Dorf Bei Jalar Mörsergranaten geflogen sind, demonstrativ in solche Häuser setzt, damit die israelische Armee nicht hineinschießt. Da sie weiß, dass ihre Landsleute auf sowas Rücksicht nehmen, die Hamas-Spinner auf ihrem Weg zu den 72 schwarzäugigen Jungfrauen im Paradies aber nicht, setzt sie sich lieber nicht zwischen die Fronten, sondern auf die sichere Seite. Netta Golan weiß ohnehin sehr viel, eigentlich weiß sie alles.

Sie weiß zum Beispiel, dass Jordaniens damaliger König Hussein 1967 von Israel in den Sechstagekrieg genötigt wurde. Dass Netta Golan dies weiß, ist sehr erstaunlich, weil König Hussein diesen Fakt bis zu seinem Ableben selbst gar nicht kannte. In seiner Autobiografie schreibt der König, dass ihn die arabischen Staaten in den kläglich verlorenen Krieg genötigt haben, aber damals wusste er ja noch nicht, dass Netta Golan sein Buch gar nicht lesen würde. Immerhin will sie demnächst studieren, um »more about all this stuff« zu lernen.

Vorerst behilft sie sich mit Geschichten, die nicht an der Uni gelehrt werden und in denen die israelische Armee so gottverdammt ungerecht zu den Palästinensern war. Die selbsternannte Friedensaktivistin findet es unmenschlich, dass die Armee ein ganzes Dorf stundenlang abriegelt, nur weil sie dort einen Mann fangen will, der Bomben für Hamas baut. Netta Golan war noch nie bei einem Castor-Transport in Gorleben, das ist offensichtlich. Sie hat auch noch nie deutsche Nachrichten gesehen. Sie glaubt, dass bei uns die israelische Armee mit ihren bescheuerten Raketen- und Planierraupen-Attacken super gut ankommt. Wahrscheinlich wegen Auschwitz und so. Immerhin weiß Netta Golan, warum in der englischen BBC gelogen wird. »Die Journalisten dürfen über das Leid der Palästinenser nicht berichten, weil Murdoch, der Besitzer, nicht nur ein Medienmogul ist, sondern bekanntermaßen auch ein nichtjüdischer Zionist.«

Aha. Zu hören, dass die öffentlich-rechtliche BBC ihm gehört, wird Herrn Murdoch freuen. Muss ihm bisher entgangen sein, dem Zionisten, dem nichtjüdischen. Manche vermuten, Netta Golan redet so, weil sie mit einem Palästinenser verheiratet ist. Ich glaube, das Gegenteil ist richtig. Sie hat einen Palästinenser geheiratet, weil sie so redet. Sie ist wie die Abiturientinnen, die vom Lande an die Uni in Berlin kommen und nach dem zweiten Gender-Seminar ihre lesbische Seite entdecken. Vorübergehend.

Am Ende des kühlen gemeinsamen Wintertages in Jerusalem zeigt uns Netta Golan ein palästinensisches Flüchtlingslager am Stadtrand. Wir besuchen die Familie eines jungen Mannes, den die israelische Armee an einem Checkpoint erschossen hat, nach dem Stand der Dinge aus Versehen. Trotzdem grinst der arme Kerl, der eigentlich nur zur Arbeit fahren wollte, von jeder Hauswand. Als Märtyrer der Al-Aksa-Intifada. Sein Onkel sagt, dass der israelische Ministerpräsident Scharon der größte Terrorist der Welt ist, größer als Bin Laden. Auf der Straße rechnet uns ein freundlicher Herr vor, dass genaugenommen nur einige Hundert Juden in Auschwitz umgekommen sind. Der Rest ist ja schließlich hier in Israel, nicht wahr? Kleine Palästinenser-Jungs hüpfen um uns herum. Sie freuen sich, dass wir sie besuchen. Als wir zurückfahren, bewerfen sie unseren Bus vor lauter Freude mit Steinen. Auf dem Band des Kollegen, der im Bus ein Radio-Interview mit Netta Golan führt, ist das laute »Bumm!« des Steins auf dem Autodach klasse zu hören. Direkt nach dem Satz, in dem die Jeanne d'Arc der israelischen Friedensbewegung von Gewaltlosigkeit träumt.

Nachdem ich diese großartige Frau kennengelernt habe, zwei Tage vor den beiden Selbstmordanschlägen in der Ben Yehuda-Straße, wundert es mich, dass die Syrer nicht zurückspotten. Autoaufkleber mit der Aufschrift: »Syrien – das Volk ohne die doofe Golan« müssten doch zu machen sein. Neulich habe ich Netta Golan wieder gesehen. Im Fernsehen. Sie hat sich vor einen israelischen Panzer gesetzt. Er hat gebremst.