29.03.07

Tobias Kaufmann

Leben ohne Lappen

Wer im Autoland nicht Auto fährt, der muss gute Gründe haben – eine Beichte

»Waaaaaaaaas? Du hast keinen Füüüührerschein?« Die Frage scheppert vor Unglauben. Auch Fassungslosigkeit und ein bisschen Grusel schwingen mit, so als habe der Fragesteller gerade der ekligen Enthüllung eines Aliens in einem Science-Fiction-Film gelauscht. »Was? Du hast keinen Kopf? Womit habe ich mich denn dann die ganze Zeit unterhalten?«

Der Alien bin ich. Ich bin gesund, männlich, alles in allem geistig auf der Höhe – und habe trotzdem keinen Führerschein. Er wurde mir nicht etwa weggenommen, weil ich besoffen durch eine Tempo-30-Zone gerast wäre. Man hat ihn mir gar nicht erst ausgehändigt. Viele Teenager brauchen ja nur noch den »Lappen«, damit sie endlich legal tun dürfen, was sie ohnehin schon heimlich geübt haben. Bei mir ist das anders. Ich kann nicht Auto fahren. Kein Stück. Als meine Frau mich mal auf einem leeren Parkplatz ans Steuer zwang, haben wir es etwa drei Meter weit geschafft. Autoscooter fahre ich allerdings unfallfrei – wenn mich nicht gerade ein Teenager ohne »Lappen« rammt.

Nach der »Waaaaas?«-Frage kommt sofort die nach dem Warum. Zum Glück kann ich die Antwort inzwischen vorwärts, rückwärts, im Liegen, im Stehen und wahrscheinlich auch kopfüber an der Decke hängend aufsagen: Als damals alle den Führerschein machten, hatte ich dienstags und donnerstags Fußballtraining. Außerdem wollte ich nicht machen, was alle machen – eine Marotte von mir, wegen der ich auch nie einen Tanzkurs besuchte.

Dann hatte ich kein Geld. Für den Führerschein hätte es vielleicht gereicht, aber auf keinen Fall für ein Auto. Was sollte das Ganze also? Außerdem bin ich aus Umweltgründen kein Freund des Individualverkehrs. Man kann beim Autofahren weder lesen noch schlafen, jedenfalls macht es die Sache unnötig riskant. Später arbeitete ich beim Fernsehen, wo man kein Auto braucht, denn der Kameraassistent lenkt den Wagen. Zudem lebte ich in Berlin, wo man sowieso kein Auto braucht. Ich hätte auch gar keine Zeit für Fahrstunden. Und erst recht habe ich keine Lust, wie ein Depp unter lauter Teenagern in einer Fahrschule herumzusitzen so wie die rüstigen Rentner in Seminaren an der Uni. Reicht das als Rechtfertigung?

Na gut, wenn wir schon so weit sind, kann ich auch die ultimative Beichte ablegen, die mich endgültig aus der Welt der echten Männer stößt: Ich interessiere mich nicht für Autos. Manche finde ich schön, so wie den Maybach, aber der liegt ein wenig außerhalb unseres Budgets. Mir sind Autos egal. Mein Vater, der »Auto-Bild« liest, erzählt mir manchmal, dass Mercedes ein neues Coupé hat, oder dass irgendeine Firma den Trend in der Mittelklasse verpennt hat. »Aha«, kann ich da nur sagen. Oder: »Ich dachte immer, beim Thema Mittelklasse sei Deutschland in allen Bereichen weltweit führend?«

All diese sachlichen, emotionalen und sonstigen Ursachen sind schuld, dass ich keinen Führerschein habe. Das vermittelt mir manchmal das Gefühl, fremd auf diesem Planeten zu sein. Im »kicker« lese ich gelegentlich, wie hoch bezahlte Fußballtrainer täglich stundenlang von A nach B fahren, ihre vom Autor ausführlich beschriebenen Luxuskarossen übers Tempolimit peitschen, um rechtzeitig beim Training zu sein, im Stau stehen, von Umleitungen zu berichten wissen... Viele »kicker«-Leser interessiert das offenbar. Sie denken dann vielleicht: »Na bitte, Daum fährt auch Auto.« Ich dagegen denke: »Warum steigt der nicht einfach in den Zug

Wenn mir Freunde oder Fremde beschreiben wollen, wie man hier- oder dorthin kommt, kann ich die ersten Minuten getrost überhören. Dann frage ich: »Und, äh, falls man mit Öffentlichen kommt?« Gott sei Dank kann man so was auch übers Internet rauskriegen. Und wenn ich ausnahmsweise mal etwas Moralinsaures sagen darf: Im Gegensatz zu den meisten, die klimapanisch ab morgen alle CO2-Emissionen stoppen wollen, fahre ich nicht mit dem Auto zu Greenpeace-Konferenzen.

Zugegeben: Es wäre wahnsinnig praktisch, wenn ich Auto fahren könnte. In Köln käme ich so viel schneller zur Arbeit, denn in unserer geliebten Millionenstadt herrscht bei Bussen und Bahnen ein dörflicher Takt. Wenn ich abends mit der Bahn meine Umsteige-Station erreiche, ist der Bus gerade weg. Würde Gott mir all die Zeit zurückgeben, die ich wegen verpasster Anschlüsse, ausgefallener Bahnen und verspäteter Busse an Haltestellen und auf Provinzbahnhöfen verbracht habe, dann könnte das mein Leben um zwei Jahre verlängern. Mindestens.

Und erst die Zeit, die ich mit Herumirren verplempert habe. Es ist sehr ungünstig, dass es günstige Navigationsgeräte nur in Autos gibt, und nicht für orientierungslose Fußgänger wie mich. Ich verlasse U-Bahn-Tunnel grundsätzlich am falschen Ausgang, biege instinktiv falsch ab, merke mir die falschen Straßennamen. Kein Auto und kein Orientierungssinn ist eine dämliche Mischung, sie kostet irrsinnig viel Zeit – und peinlich ist sie auch.

»Willst du den Führerschein denn noch machen?«, fragen mich die Leute als Nächstes. Das ist so eine Frage, die kein »Nö« duldet, genau wie »Glaubst du an die Klimakatastrophe?« Deshalb sage ich: »Natürlich.« Ich habe den Erste-Hilfe-Kurs für die Fahrschule sogar schon absolviert und der Puppe beim Reanimieren nicht eine einzige Rippe gebrochen. Allerdings ist der Kurs zehn Jahre her. Vermutlich habe ich die Sache mit dem Führerschein schon zu oft verschoben, als dass noch etwas draus würde. Außerdem habe ich Glück. Wir besitzen ein Auto, das alle meine Wünsche erfüllt: Der Zwillingskinderwagen passt rein, und am Heck prangt ein Aufkleber des 1. FC Köln. Und das Beste ist: Meine Frau kann es fahren. Auch sie hat Glück, ich bin ein Beifahrer, der sich nicht einmischt.

Es müsste schon ein enormer Vorteil dafür winken, dass ich mich – ohne gaffende Teenager – in einen Zwei-Wochen-Intensiv-Fahrkurs begebe. Außerdem treffe ich immer häufiger Menschen, die ebenfalls nicht Auto fahren. Viele Frauen haben den »Lappen«, fahren aber nie. Peinlich ist ihnen das offenbar nicht. Also bleiben wir erst mal dabei – Papa sitzt hinten und Mama macht brumm, brumm. Meine Töchter halten das für normal. Aus emanzipatorischer Sicht ist das unbezahlbar. Und die Fortbewegung mit ihrem ersten fahrbaren Untersatz hat meine große Tochter trotz allem von Papa gelernt. Kleine, rote Bobbycars fahre ich wirklich passabel.

Diese Kolumne erschien zuerst am 11.02.2007 im Kölner Stadt-Anzeiger