Lutz Kinkel

Big Goldfisch

"Wie steht es eigentlich mit den Menschenrechten", schreibt "Wolke" in einem Internetforum. "Sollte es tatsächlich erlaubt sein, den Fernsehzuschauer so zu quälen?"

Aber mein lieber Wolke, möchte man antworten. Es ist nicht nur erlaubt, Fernsehzuschauer zu quälen. Man darf auch auf offener Strasse T-Shirts mit der Aufschrift "Bitte Bier einfüllen" tragen. Oder Mautsysteme konzipieren, die das Volksvermögen vernichten. Wir leben in einer Demokratie, lieber Wolke, und weil das so ist, darfst Du Dich Wolke nennen und musst nicht Adolf, Erich oder Saddam heißen.

Anlass der wolkigen Beschwerde ist "Big Brother V", die jüngste Containershow aus dem Hause Endemol, die im März (2004) angelaufen ist und ein Jahr dauern soll. Das dramaturgische Salz in der Suppe ist diesmal der Klassenkampf zwischen "Reichen", "Normalos" und "Survivors". Die Reichen dürfen die unteren Kasten zu Frondiensten zwingen, sich die Fußnägel schneiden und das Brötchen servieren lassen. Andererseits gibt es Abenteuerspiele, bei denen sich Mitglieder der unteren Kasten einen Platz unter den Snobs erkämpfen können. Wir erleben also Ausbeutung, Neid und Verdrängung, ein Sozialklima, das eingetragen Parteimitgliedern nur allzu vertraut ist.

RTL2 ist natürlich der Muttersender von Big Brother, aber heuer ist auch Premiere dabei. Die Zuschauer können dort gegen eine Gebühr von 15 Euro pro Monat 24 Stunden live in den Container spannen. Das ist ein interessantes Novum. Denn es birgt die Möglichkeit, den immer wieder strapazierten Begriff vom "Menschenzoo" real werden zu lassen. Und so geht's: Drittfernseher und Premiere-Lizenz kaufen, die Glotze in ein Aquarium stellen, selbiges in der Bücherwand verstauen und das Programm ein Jahr lang flimmern lassen. Früher oder später haben die lustigen bunten Figürchen denselben beruhigenden Effekt wie Goldfische und Guppies. Und das Beste ist: Man muss sie nicht einmal füttern!

Die Frage ist nur: Wohin mit den ganzen Halbprominenten, wenn die Staffel zu Ende ist? Doch auch dafür gibt es eine Lösung. Der Altenpfleger aus Castrop-Rauxel muss wieder Hintern abwischen und bekommt Depressionen. Die vollbusige Blonde posiert für einen Autozubehör-Kalender und heiratet einen 80-jährigen Millionär, der Viagra futtert wie kleine Kinder Smarties. Und der Rest macht, was man so macht. Bei Kerner, Beckmann und Gottweißwem talken. Dann die fünfte Staffel Dschungelshow mitnehmen. Dort ein Lied komponieren und damit beim Grand-Prix antreten. Darüber mit Kerner, Beckmann und Gottweißwem talken. Fortsetzung folgt.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".