Lutz Kinkel

Heute schon gemuXxt?

Gestern war ich auf der Post und wollte Briefmarken kaufen. Zehn Stück zu 55 Cent. Doch die blonde Dame am Tresen lächelte nur freundlich: "Habe ich im Moment nicht. Tut mir leid." Ich lächelte gequält zurück und sagte: "Kann nicht sein. Die Post ohne Briefmarken. So etwas gibt es nicht." Sie: "Doch." Die Frage, warum nicht genügend Marken produziert worden sind und ob sich der ganze Laden vielleicht ohnehin in einer Winterdepression auflösen werde, blieb unbeantwortet.

Auf dem Weg zurück ins Büro kam mir in den Sinn, dass andererseits eine Verknappung bestimmter Medienangebote durchaus wünschenswert wäre. "Sorry – Johannes B. Kerner ist leer geguckt. Probieren Sie's morgen wieder!", "Hier heult normalerweise Margarete Schreinemakers. Normalerweise, wie gesagt.", "Peter Kloeppel ist selbst zur Nachricht geworden. Aufgrund dieses Paradoxons können Sie RTL-Aktuell heute nicht wie gewohnt empfangen", "Was wollen SIE eigentlich bei 3sat?" – solche Texttafeln würde man gerne lesen. Sie würden dem Fernsehen wieder etwas Überraschendes verleihen, sie würden uns wieder neugierig machen.

Aber die Medienmanager verknappen nicht, sie bauen ihre Programme aus, teilen und vermehren sie. RTL kauft n-tv hinzu, ARD und ZDF stocken ihre Spartenkanäle auf und gründen digitale Senderkolonien. Die jeweiligen Motive sind klar: Die Privaten wollen noch mehr Geld verdienen und die Öffentlich-Rechtlichen noch mehr Geld ausgeben. Beides macht Spaß und führt zu vergnüglichen Situationen. Man stelle sich nur jenes historische Treffen vor, bei dem die ARD-Intendanten so lange Eierlikör tranken, bis sie endlich die Namen für ihre neuen Digitalstationen gefunden hatten: MuXx, Festival und Extra.

Alle Jahre wieder stellt sich allerdings die Frage, wer künftig den Eierlikör bezahlen soll, sprich: wie stark die GEZ-Gebühren steigen sollten. Die Meinungen sind traditionsgemäß geteilt. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der seinen Münchener Medienklüngel beschützt, würde die ARD am liebsten einsargen und das ZDF zum bayerischen Regierungssender umbauen lassen. Ministerpräsidenten von Ländern, deren Medienwirtschaft sich auf den regionalen ARD-Sender beschränkt, haben naturgemäß andere Ansichten. Sie fördern die Öffentlich-Rechtlichen, allein schon deshalb, weil sich ansonsten die Soziologen, Germanisten und Historiker in den Arbeitsämtern stapeln würden.

Uns, die Verbraucher, fragt sowieso keiner, ob wir nun den ZDF-Theaterkanal sehen oder RBB-88acht hören wollen. Aber wen wundert das noch. Diesem Land mangelte es schon immer an direkter Demokratie. Von 55-Cent-Marken ganz zu schweigen.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".