Lutz Kinkel

Dall sei bei uns!

"Der Mensch sieht auf das Äußere, aber der HERR sieht auf das Herz." So steht es geschrieben, im ersten Buch Samuel, Kapitel 16, Vers 7. Und weil das so ist und sich der liebe Gott auch derer erbarmt, denen es an Knackärschen, Stupsnasen und Naturhaar fehlt, konnte in Deutschland auch ein Mensch wie Helmut Markwort sein Glück finden. Oder: Angela Merkel, Rainer Calmund, Renate Künast und Oliver Kahn. Es sind so viele. Schaut man sich um, so könnte man meinen, die oberen Zehntausend seien die glaubwürdigsten Gottesbeweise. Das Gesicht, das ein Karl Dall vor sich her trägt, ist nur mit Gottes Hilfe zu ertragen, es ist ein Spiegel seiner Barmherzigkeit.

Das schmeckt den TV-Managern selbstredend nicht. Denn sie dulden keine Götter über sich. Sie allein wollen schöpfen, schaffen und richten, deswegen haben sie diese Erziehungsanstalt namens Fernsehen ja überhaupt aufgebaut. In jedem Spielfilm diktieren sie den Schauspielern, was sie sagen sollen, bei jeder Show wird das Publikum darauf abgerichtet, auf Befehl zu klatschen. Die Politiker dürfen in den Nachrichten nur so lange reden, wie es die Moderatoren wollen, und die Teenies müssen täglich zwei Yvonne-Catterfeld-CDs kaufen, weil es ihnen GZSZ so befiehlt. Wer glaubt, er könnte mit der Fernbedienung das Fernsehen steuern, täuscht sich. Nicht wir wählen aus, wir werden ausgewählt. Und dann bestrahlt. Mit zielgruppengenauen, in Müllermilch getauchten Programmen.

Ein letztes Reservat gab es bislang noch, das dem Zugriff des Fernsehens entzogen war – der Körper. Unsere Unverletzlichkeit war garantiert, ein jeder durfte in seinem Originalgehäuse zuschauen, mitraten oder sich in Talkshows blamieren. Doch auch dieses Privileg hat nun ein Ende. MTV zeigt "I want a famous face", Pro7 "The Swan", RTL bringt eine Variante von "Extreme Makeover". In all' diesen Sendungen geht es darum, den missratenen Normalbürger vor laufender Kamera mit chirurgischer Hilfe zu renovieren. Hier wird der Nasenhöcker abgeraspelt, dort der Schwimmreifen um die Hüften abgesaugt, zuguterletzt vielleicht noch das Schlupflid abgeschnitten und in die Biotonne geworfen. Das Resultat ist in jedem Fall ähnlich: der Proband hat sich in ein telegenes Püppchen gewandelt, in einen Menschen, der auf die Bedürfnisse der Kamera und der Werbeblocks zugeschnitten ist – und der dann vielleicht auch noch in eben diesem Medium Karriere macht.

Und das heißt nicht weniger, als dass das Privatfernsehen womöglich schafft, was dem Sozialismus immer versagt blieb: den neuen Menschen zu schaffen, der ins System passt wie die Fritte zur Mayo. Und dann? Dall sei bei uns!

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".