Lutz Kinkel

Drei Beine für Syrien

Es gibt Ereignisse, die so bedeutend sind, dass jede Nachrichtensendung darauf eingeht, von der Tagesschau über RTL-Aktuell bis zu den Pro7-News. Dazu gehört zum Beispiel jenes Dramolett, das sich am 24. Februar 2004 um 13.20 Uhr im Landkreis Rottach-Inn abspielte: Ein blauer Opel Corsa bog unbedacht um die Ecke und rammte einen Gurkenlaster. Nach einer Schocksekunde entstiegen dem mit Cornichons, Essig und Perlzwiebeln bekleckerten Corsa zwei ältliche Damen, die sich als "Miszu" und "Rainbow" ausgaben und im normalen Leben Administratoren eines Fanforums im Internet sind. Schließlich kam auch der Fahrer zum Vorschein, das Idol der beiden Damen - ein junger Mann, der zwar keinen Führerschein hat, dessen Namen aber selbst gestandene Nachrichtenredakteure in Aufregung versetzt: Daniel Küblböck. Die ARD-Intendanten berieten sofort, ob sie einen Brennpunkt senden sollten, Antonia Rados, die sonst so toughe RTL-Korrespondentin, vergoss im Bagdader Hotel Palestine eine Träne des Mitleids.

Sind sich die Sender einig, was eine Nachricht ist, so zeigt eine neue Forsa-Studie, was keine Nachricht sein kann. Im Auftrag von RTL ermittelten die Demoskopen zum Beispiel die "gefühlsmäßige Nähe" der Zuschauer zu einzelnen Nationen. Das nicht wirklich überraschende Ergebnis: Die Deutschen fühlen sich Deutschland verbunden – Platz 1 auf der Kloeppelskala. Danach folgen Frankreich, Österreich und Holland, die letzten Plätze belegen Pakistan und Syrien. Was dort passiert, ist für die Deutschen so relevant wie die chilenische Straßenverkehrsordnung für Astronauten. Auch innerhalb Deutschlands sind die Sympathien regional ausgerichtet: Wie Forsa feststellte, können die Zuschauer mit Berlin und Hamburg am meisten anfangen, mit Brandenburg und dem Saarland hingegen am wenigsten. Last not least wurde auch das Interesse für Themen erhoben, und die Menschen gaben freimütig zu Protokoll, dass Innenpolitik, Wirtschaft und insbesondere Umweltpolitik sie immer häufiger anöden. Und nun muss man sich folgendes Ereignis vorstellen: Ein Brandenburger Professor erklärt auf einer Konferenz in Syrien das Ozonloch. Der Mann müsste schon drei Beine und fünf Ohren haben und im Nebenberuf ein ernsthafter Konkurrent von Michael Schumacher sein, um auch nur ein Nanogramm Medienaufmerksamkeit abzubekommen. Im Normalfall ist er gegen einen im Gurkenlaster verkeilten Kübelböck völlig chancenlos.

Irgendwie erleichternd ist es da zu hören, dass es ohnehin nicht mehr so genau darauf ankommt, welche Nachrichten in den Nachrichten sind – etwa ein Drittel der Zuschauer schaut sie sich sowieso nicht an oder vergisst sie gleich wieder, so eine Studie der Universität Jena. Das Wetter.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".