Lutz Kinkel

Seid nett zueinander!

Talkmaster ist ein Beruf, den viele Menschen ausüben. Mein schwuler Friseur zum Beispiel, der so bezaubernd von seinen SM-Orgien erzählen kann, dass selbst die Großmütter, die sich von ihm die Haare blau färben lassen, andächtig zuhören. Oder jener Psychologe, den ich mal auf einer Bahnfahrt nach Nürtingen kennen lernte, und der mit seinen klugen Fragen selbst George W. Bush zur Nachdenklichkeit bewogen hätte. Die meisten dieser Kommunikationstalente wirken im Verborgenen, sie fragen, reden und unterhalten, weil sie das schon immer so gemacht haben, und weil es das Leben ganz allgemein bereichert. Wer wüsste es zum Beispiel nicht zu schätzen, wenn an einem lauen Sonntagnachmittag der Lebenspartner darüber sinniert, dass ein Slogan wie "Trimm Dich" schon beinahe vergessen sei und sich daraus eine angeregte Debatte über die sprachlichen Kapitalverbrechen der 70er und 80er Jahre entwickelt.

Die Menschen, die ich meine, nehmen für ihr Wort kein Geld, sie verschwenden sich geradezu im Vergleich mit den Talkmastern, die für das Fernsehen arbeiten. Die Bekanntesten versammelten sich jüngst bei "Beckmann": Jörg Pilawa, Kai Pflaume, Johannes B. Kerner und Oliver Geißen. Die Frage, um die es ging, war leider nicht auszumachen, deswegen plauderten die Herren Plaudertaschen einfach munter drauf los. "Nett" müsse man sein, um die Zuschauer an sich zu binden, hieß es, und Jörg Pilawa bekannte: "Ich finde es nett, nett zu sein." Als zweites Kriterium für die Befähigung zum Talkmaster wurde die "Authentizität" genannt, worunter laut Duden "Echtheit, Zuverlässig und Glaubwürdigkeit" zu verstehen ist. Ein Anforderungsprofil, von dem 4,5 Millionen Arbeitslose nur träumen können.

Kurz vor dieser Sendung fand in Hamburg ein Symposion über Talkshows statt, und dort saßen auch jene, die das Genre vor rund 30 Jahren aus der Taufe hoben: Hermann Schreiber zum Beispiel, Ex-Spiegel-Chefreporter und Willy-Brandt-Biograf. Als er bei der NDR-Talkshow anfing, sagte Schreiber, habe er geglaubt, der TV-Talk sei eine Form des investigativen Journalismus, er könne und müsse aus seinem Gegenüber neue Fakten herausholen. Wolf Schneider, auch ein Urvater des Talks, pflichtete ihm bei und fragte, ob es überhaupt Sinn mache, einen Politiker wie Joschka Fischer zu befragen. Schließlich erzähle der Mann ja genau dasselbe wie damals Hans-Dietrich Genscher: "Wir müssen die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Beziehungen intensivieren...". Über Sabine Christiansen, die es dennoch probiert, sagte ein Medienwissenschaftler, sie würde sich zwar Mühe geben, aber oft nur die Illusion einer kritischen Talkrunde produzieren. Im Grunde könnten sich ihre Gäste nach Herzenslust in Pose werfen.

"Es geht eben den Menschen wie de' Leut", würde der Hesse abschließend über Talkmaster sagen, und damit hat er sicher Recht. Meinen nächsten Friseurbesuch werde ich der GEZ in Rechnung stellen.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".