Lutz Kinkel

Made in Germany

Irgendwas ist ja immer. Im Sommer 2003 jedenfalls initiierte die Londoner Werbeagentur "Cunning Stunts Communications" eine neue Art der Werbung: Für sechs Euro pro Stunde mietete sie Studenten an, die bereit waren, sich ein Produktlogo plus Slogan auf die Stirn malen zu lassen. Um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen, nötigten die Agentur angehende Sozialpädagoginnen, den Schriftzug "Kentucky Fried Chicken" zu tragen, männliche Juristen bekamen standardmäßig Headline "Stroh Rum – you never get enough" verpasst.

Zugegeben: Die Idee war brillant. Aber sie ließ doch eine gewisse Konsequenz vermissen. Wieso eigentlich malen – warum nicht tätowieren? Jeder Mensch sollte Sponsoren haben, die ihn durchs Leben begleiten. "Verporten Eierlikör präsentiert Olli Kahn", "Sigmar Gabriel kauft bei Budnikowski": Solche Zeilen haben auf jeder Stirn Platz. Die Sponsoren könnten im Gegenzug ein gewisses Mindesteinkommen garantieren und damit die geschröpften Sozialkassen entlasten. Man muss in diesen Tagen pragmatisch denken.

Das Tattoo, gleich nach der Geburt eingenadelt, würde auch die endlose Diskussion beenden, ob und was heutzutage werbefrei sein sollte. Was regen sich die Philister auf, wenn Thomas Gottschalk drei Viertel von "Wetten dass..." damit zubringt, Produkte in die Kamera zu halten! Und was ist das für ein Gezeter, wenn die Chefin des Verbandes der Medizinjournalisten in einem Interview sagt, dass es für Journalisten Sinn macht, sich gleichzeitig von der Industrie und von der Redaktion bezahlen zu lassen!

Die Wahrheit ist doch: Politische Ideologien sind tot, die Kirchen leer und Moralfragen diskutieren Wolfgang Thierse und Rita Süssmuth unter sich aus. Was bleibt, ist die Marke. Sie vermittelt Geborgenheit, Wärme und Orientierung. Wer es nicht glaubt, sollte seinem 15jährigen Sohn die Adidas-Sneaker abnehmen und ihn in Deichmann-Schuhe stecken. Die labile Teenagerseele stürzt sofort in eine pathologische Identitätskrise und das kann kein Mensch wollen. Deshalb sollten wir die Werbung nicht ausgrenzen sondern integrieren. Die Marken sind wir, und wir sind die Marken.

Kluge Sender wie das ZDF haben das längst erkannt. Kürzlich lief dort eine Themennacht mit dem schönen Titel "Made in Germany". Da waren sie alle da: Tante Persil und Onkel Haribo, Tochter Nivea und Schwippschwager Maggi. Ein harmonisches Treffen der lieben Markenverwandschaft. Und endlich, endlich waren wir zuhause.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".