14.03.05

Lutz Kinkel

Ich glotz TV (Teil II)

Ist Schleichwerbung legitim? Die Antwort darauf ist klar: Die Frage ist schlichtweg falsch gestellt. Denn sie insinuiert Gefahr wo Glückseligkeit wartet. Anfang 2004 präsentierte das ZDF "Made in Germany", eine Revue der Traditionsmarken von Persil bis Maggi. Das fühlte sich warm und bunt an, der Zuschauer erinnerte sich selig an die Kindheit, als ihn die ersten TV-Spots umspielten. In der Kirche, liebe Ewiggestrigen, war es schon damals bitter kalt.

Gegen die Kälte hilft nur Eierlikör, wie man weiß. Und davon tranken die ARD-Intendanten offenkundig fassweise, als sie in Wladiwostok über die Namen ihrer neuen Digitalkanäle berieten. Tage später war die Entscheidung gefallen: "MuXx", "Festival" und "Extra" heißen sie nun. "Tick", "Trick" und "Track" hätten es sicherlich auch getan, möchte man einwerfen. Aber uns fragt ja keiner.

Oder doch? Als Daniel Küblböck im Dschungelcamp im Kakerlakenregen versank, schien es für wenige Sekunden, als gäbe es eine Gerechtigkeit auf Erden. Ein jeder empfing seine Strafe: Küblböck fürs öffentliche Singen und die Kakerlaken fürs kritiklose Zuhören. Der Zuschauer war zufrieden und RTL auch, denn damit war das Megathema des Fernsehjahres 2004 gefunden: Ekel-TV. Die Macher von "Big Brother" mussten ihr Konzept schon ordentlich anspitzen, um im großen Gegeifer noch Aufmerksamkeit zu erregen.

Die Öffentlich-Rechtlichen reagierten vermuxxt, konnten sich dem Dschungelhype aber nicht ganz entziehen, weder in den Talkshows noch in den Nachrichten. Als Küblböck einen Gurkenlaster penetrierte, berichtete auch die Tagesschau. Der geplante Beitrag über einen dreibeinigen Meteorologen, der nebenbei in Syrien Formel1 fährt, musste dafür entfallen. Pech gehabt!

Pech auch für uns Männer, dass Anke Engelke die Late Night bei Sat.1 übernahm. Sie sendete konsequent an uns vorbei, ähnlich wie Angela Merkel an der CSU, und das fanden die neuen amerikanischen Besitzer der ProSieben-Sat.1-Gruppe gar nicht funny. Also musste Anke gehen und die Schönheitschirurgen kamen: Im Herbst 2004 dröhnten auf allen privaten Kanälen die Nasenraspler, Fettsauger und Busenpumpmaschinen. Das Geräusch war so laut und beängstigend, dass die Menschen niederknieten und ein "Dall sei bei uns" gen Himmel schickten.

Karl Dall, der Schutzheilige aller Deformierten, erhörte die Gebete und strafte die Schönheitschirurgen mit miserablen Quoten. Also zogen sie blutigen Messers wieder ab. Ihre Operationsreste landeten, wie in diesen von Hartz IV gepeinigten Tagen üblich, auf Dönerspießen und in Naturdärmen - Grund genug, beim Imbiss statt Currywurst einmal zwei halbe Hahn zu bestellen. Das stärkte den Magen, und das musste auch so sein, denn es galt, am Samstagabend "Jackass" zu überleben. Diesmal ging es um einen Qualitätswettbewerb der besonderen Art: Jedes Teammitglied musste sich eine Spermaprobe rausleiern und diese untersuchen lassen. Ausgerechnet Johnny Knoxville hatte die schlappsten Fäden. Neiderfüllt schüttete er dem Sieger eine Portion Leim ins Gesicht - natürlich aus einem Glas, das als Spermaprobe gekennzeichnet war. Ob es bei Endemols Kopie "spermrace" ähnlich herzhaft zugeht, muss man abwarten.

Das Fernsehjahr 2004, das Jahr, in dem die Sender wie auf Speed um "Reality" zirkulierten, endete mit einem machtvollen Comeback der Realität – die Tsunami in Asien ließ ebenso wie seinerzeit 9/11 alles hohl und leer erscheinen, was bislang die Gemüter erregte. Und als hätten es die TV-Macher geahnt, stellten sie just in diesem Moment das eskapistischste Format vor, das sich denken lässt: ein Remake des Heimatfilms. Fassungslos sahen wir, wie die Geierwally mit wogendem Dekolleté ins neue Jahr schritt. Das ist Fernsehen, made in Germany.

Haben Sie es bemerkt? Diese Kolumne ist eigentlich ein gutes Dutzend. In diesem Text haben wir zwölf (!) weitere Kolumnen von Lutz Kinkel verlinkt, die zuerst in der Zeitschrift Digital Fernsehen (Leipzig) erschienen sind.