Lutz Kinkel

Bananenunterversorgung

Im ZDF-Fernsehgarten geht es gewöhnlich um Sodbrennen, Mitklatschen und tolle neue Rezepte, eben jene Themen, die uns dazu bewegen, zur Sendezeit am Sonntag vormittag doch lieber im Bett zu bleiben. Neulich aber trug sich Unerhörtes zu: Andrea Kiewel, Moderatorin und gebürtige Ostdeutsche, beschwor vor laufenden Kameras den moderigen Geist Erich Honneckers. Erst regnete es DDR-Pralinen auf die Besucher des Fernsehgartens, dann ballte Kiewel klassenkämpferisch die Faust und rief: "Frieden und Sozialismus – seid bereit !!!" Die Besucher antworteten donnernd: "Immer bereit!" Daraufhin stürmte der revolutionäre Mob das Heute-Studio, besoff sich mit Club-Cola und praktizierte FKK vor der Wetterkarte. Ostalgie nennt man das.

Machen wir uns nichts vor: Unter der Regierung von Dr. Helmut Kohl hätte es so etwas nicht gegeben. Der Alte hätte seine Krieger im ZDF-Fernsehrat mobilisiert und derartige Programme pränatal niederkartätschen lassen. Der Kommunismus galt schließlich als ideologischer Todfeind, und die DDR war ein Synomym für Stasi, Schießbefehl und Bananenunterversorgung. Mit solchen Themen flirtet man nicht kiewellustig rum, schon gar nicht im ZDF.

Aber: Tempora mutantur. Helmut Kohl ist entmachtet und einstweilen vollauf damit beschäftigt, die Namen seiner politischen Mäzene nicht zu erinnern. Die CDU wird heute von Angela Merkel geführt, einer Ostdeutschen, die selber mit Nudossi und preiswerten Topffrisuren groß geworden ist. Und der Kanzler heißt Gerhard Schröder, ein Mann, dessen Neigung zu ideologischen Grabenkämpfen bekanntermassen genauso ausgeprägt ist wie die Berglandschaft in Holland. Kein Wunder also, dass die Ostalgie ungebremst durch die Sender schwappt. Neben dem ZDF haben auch RTL, Sat.1 und der MDR eigene DDR-Shows im Programm.

Es gibt Kommentatoren, die schreiben, diese Shows würden die Diktatur verniedlichen und die Maueropfer somit nochmals schänden. Andere wollen wissen, dass die Ostalgie dabei helfe, unterdrückte Emotionen zu ventilieren: Die Wessis dürfen ein bisschen über Spreewaldgurken und Jahresendflüger ablachen, die gebeutelten Ossis können sich im Gegenzug am Ofen uralter Heimatgefühle wärmen.

Der wesentliche Zweck der Shows ist aber ein anderer: Endlich erreicht der vielbeschworene Aufbau Ost auch die Medien. Nie zuvor waren so viele Moderatoren, Sportler und Künstler aus Ostdeutschland in der Glotze, nie zuvor genossen Ostmarken wie Rotkäppchen, Filinchen und Zeiss so viel Aufmerksamkeit. Selbst hinter den Kulissen helfen die Shows manch' Totgesagten wieder auf die Beine. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, lässt der MDR "Ein Kessel DDR" von "TV-Media" produzieren. Die Firma gehört Hans-Hermann Tiedje, dem ehemaligen Chefredakteur der "Bild". Und der hat für die Show zwei Redakteure engagiert, die früher für die Stasi gearbeitet haben. Nun werden die ehemaligen Spitzel vom Kommunistenbasher Tiedje persönlich resozialisiert. Wenn das kein Modell für die Zukunft ist.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil I)".