Lutz Kinkel

The Battle

Das wahre Leben ist nicht telegen. Es ist strunzlangweilig, Menschen dabei zu beobachten, wie sie in einem Blechcontainer Ikea-Möbel abwohnen und sich die Haare wachsen lassen. Es ist nervtötend, Gerichtsverhandlungen mitzuverfolgen, in denen sich Reihenhausbesitzer darüber streiten, ob die gemeinsame Mülltonne einen Meter weiter links oder rechts stehen sollte. Und es verursacht Bauchschmerzen, in die Gesichter von amerikanischen Kriegsgefangenen schauen zu müssen, die glauben, Saddams Schergen würden sie gleich dünn schälen. Das alles will niemand sehen, Gott und die Fernbedienung bewahre.

Programmmacher wissen das, sie haben das nackte Sein hassen gelernt und inszenieren es nun intensiver. In der vierten Staffel von Big Brother, soeben auf RTL2 angelaufen, sorgen kaltschlammige Open-Air-Spiele für Action. "Barbara Salesch" verhandelt schon lange keine realen Schiedsgerichtssachen mehr sondern läßt sich von Schauspielschülern fiktive, schamhaarstarke Beziehungsstories vortragen. Und die Sequenzen mit den verängstigten US-Soldaten verschwanden nach einem Wink von Donald "Rummy" Rumsfeld in den Müllkörben der amerikanischen TV-Stationen. So ist's recht: Zeigt uns bloss nicht zuviel vom Leben. Das belästigt uns ohnehin schon den ganzen Tag.

Bizarr ist die Sache deshalb, weil die populärsten Real-People-Formate dieser Tage, Big Brother 4 und Golfkrieg 2, aufeinander zu verweisen zu scheinen. In beiden Sendungen treten Teams gegeneinander an, allenthalben wird gerobbt, geschleppt und gehangelt, und zwischendurch fallen Sätze wie "Ihr braucht Mut, Ausdauer und einen langen Atem, um zu gewinnen." Wer hat das doch gleich gesagt: Rummy oder Moderatorin Aleksandra Bechtel? Bei BB dürfen die Erfolgreichen Sushi essen und im Pool planschen während die Verlierer auf Strohballen schlafen müssen und nur kaltes Wasser zum Waschen bekommen. Sind die Hierarchien zwischen den Marines und den gefangenen Republikanischen Garden etwa anders?

Die Neue BB-Staffel trägt den Untertitel "The Battle", und Markus Söder, der Vorsitzende der CSU-Medienkommission, hat angemerkt, das sei in Zeiten des Golfkrieges "total geschmacklos". Doch der Mann irrt. Tatsächlich zeigt der Untertitel die einzige reale Perspektive, die uns Friedensbewegten noch bleibt. Denn vielleicht ist BB4 und GK2 ja ein gewagtes, aber geniales Doppelprogramm, und nach ein paar Monaten fetter Quoten für die Auftraggeber RTL2 und CNN löst Produzent Endemol auf der "Mega-Surprise-Battle-Party" den ganzen Schwindel auf: Aleks Bechtel kommt Hand in Hand mit einem frisch gefönten Saddam die Showtreppe runter, Rummy, George W. und Altstar Slatko reiten winkend auf einer Papprakete ins Studio, lachende irakische Kinderstatisten werfen ihre Krücken weg und lassen sich Autogramme von den BB-Gewinnern geben. Zum Schluss singt Dieter Bohlen an einem weißen Steinway-Flügel Ralph Siegels "Ein bißchen Frieden", während es Konfetti mit Uno-Logo von der Decke regnet.

Das Publikum hat Tränen in den Augen und klatscht wie besessen, während sich in deutschen Wohnzimmern Vaddern auf der Couch zurechtrückt. Irgendwie hat er doch die ganze Zeit geahnt, das da was nicht stimmt.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil I)".