Lutz Kinkel

Hausfrauentausch

Wenn wir Kinder bei Tante Karin übernachteten, riss uns die Bettwäsche den blonden Pflaum von den Beinchen, weil sie nicht weichgespült war. Morgens durften wir uns nicht am gewohnten Nutella-Toast laben, sondern mussten Müsli mit vielen wertvollen Nährstoffen kauen. Und hatte ich schon erwähnt, dass Tante Karins Bad keine Fußbodenheizung hatte? Kann einer nachempfinden, was das für rosige, noch nicht ganz ausgeschlafene Kinderfüsschen bedeutet? Ja, das waren die Traumata, die wir Lehrerkinder erlitten, wenn wir bei Tante Karin einquartiert waren, weil unsere Eltern in ihrem grenzenlosen Egoismus einen freien Abend haben wollte. Noch heute erinnern wir uns mit Schaudern daran, auch wenn die Welt unser Leid vergessen hat.

Umso furchtbarer klingt in unseren Ohren, dass RTL im Namen der Quote weitere unschuldige Kinderseelen quälen will. Im Herbst (2003) soll eine Doku-Soap mit dem Titel "Hausfrauentausch" auf den Bildschirm kommen, die schildert, was passiert, wenn zwei Mütter für vierzehn Tage die jeweils andere Familie übernehmen. Man kann sich schon ausmalen, was das für die Kleinen bedeutet: Auf einmal schmeckt der Kartoffelsalat ganz anders, abends müssen die Racker Mensch-Ärger-Dich-nicht spielen anstatt wie üblich den zweijährigen Bruder zu foltern, und morgens wabern auf einmal toxische CK-one-Schwaden durchs Haus. Kurzum: Man nimmt den Kindern ihre Heimat, ihre Geborgenheit, ihr Recht auf das Immergleiche. Das ist ein Fall den Kinderschutzbund, Amnesty International, und, wenn gar nichts anderes mehr hilft, für Donald Rumsfeld. Soll er seine Marines schicken, um die Kleinen von der Tyrannei der fremden Ersatzmutter zu befreien.

Produzent der RTL-Soap ist übrigens Tresor Entertainment, derselbe Laden, der auch schon "Popstars" verbrochen hat. Die Teenager und Twens, die daran teilgenommen haben, singen sich noch heute in aller Öffentlichkeit das Leid von der Seele. Und wir, nach jahrelanger Berieselung mit Sonja Zietlow und Johannes B. Kerner so abgestumpft wie SARS-Kranke im Endstadium, nehmen das Elend dieser Menschen schon nicht mehr wahr. Es ist furchtbar.

Unser Minimalziel ist: Wenigstens die Seite www.hausfrauentausch.de muss weg. Dort finden sich in der linken Spalte noch Buttons, wie wir sie bereits von "Big Brother" kennen: "Sauna-Cam", "Küchen-Cam", "Schlafzimmer-Cam". Aber in der rechten Spalte wird es wirklich unappetittlich: "Mollige ohne Tabus", "Knackige Hintern", "Steife feuchte Nippel". Entschuldigung: Ist das noch das Privatfernsehen, von dem Edmund Stoiber geträumt hat?

Nein, ist es nicht. Offenbar haben sich weder RTL noch Tresor Entertainment die Domain "www.hausfrauentausch.de" vorsorglich gesichert. Nun gehört sie einem holländischen Pornoanbieter, der unsere Jugend noch tiefer ins Verderben reissen wird, als es die Soap ohnehin schon tut. Bischof Lehmann, übernehmen Sie!

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil I)".