Lutz Kinkel

Die Leichtigkeit des Scheins oder
Die Österreicher kolonisieren unsere Medien

Aufgrund eines Propellerschadens stürzt über dem Wiener Zentralfriedhof eine zweisitzige Cessna ab. Sofort machen sich die Bergungstrupps an die Arbeit. Drei Tage später meldet das österreichische Fernsehen, dass die Helfer immer noch buddelten. Es seien schon mehr als 1000 Tote gefunden worden!

Spätestens 1982 waren die 70er Jahre definitiv vorbei, was unter anderem zur Folge hatte, dass kaum noch Joints in der Öffentlichkeit kursierten. Die Lust am Rausch ließ allerdings nicht nach. Deshalb begannen die Deutschen, sich Österreicher-Witze zu erzählen.

Wer heutzutage das Privileg genießt, noch in den Medien arbeiten zu dürfen und weiterhin Österreicher-Witze erzählt, muss ein Kamikaze sein. Denn hinter jeder zweiten Redaktionstür sitzt ein Österreicher mit Ohren groß wie Palatschinken. Gerhard Zeiler und Hans Mahr leiten RTL, Helmut Brandstätter ist Geschäftsführer von n-tv, Gottfried Zmeck besitzt den Digitalkanal GoldStar TV. Von Helmut Thoma, dem ungekrönten Medienkaiser, heißt es, er werde künftig in Bauers Namen die Pro7-Sat.1-Media AG regieren. Thoma dementiert zwar, ist aber zweifellos zu jeder medialen Schandtat bereit.

Die Österreicher und die deutschen Medien – sie sind so gierig aufeinander wie zwei beschickerte Singles am Ballermann 6. Die Frage, warum das so ist, beschäftigt die Beobachter seit Jahren. Immer wieder tippen sie auf die Mentalität des Alpenländlers, auf diese unvergleichliche Leichtigkeit des Seins, die Österreicher angeblich empfinden und quotensteigernd verströmen. "Sie nehmen nichts ernst", schreibt Henryk M. Broder, "nicht das Leben und nicht den Tod, weder sich selbst noch die anderen; die Österreicher sind kein Volk und keine Nation, keine Schicksals- und keine Notgemeinschaft, sie sind eine Komikertruppe, die eine Truppe von Komikern spielt."

Dieser These zufolge ist Helmut Thoma noch im linken Zeh ein Österreicher, der ARD-Programmdirektor Günter Struve ebenso, obwohl er keck behauptet, Norddeutscher zu sein. Andere sind es gewiss nicht. Die Interviews, die Zeiler gibt, haben bisweilen den Unterhaltungswert von Finanzamtsschreiben, Gottfried Zmeck verbreitet unter seinen Zuhörern immer die schreckliche Sorge, er würde gleich aufspringen und zubeißen. Von Michael Maier, auch so ein Exilierter, heißt es, er sei in seinen letzten Monaten als Stern-Chefredakteur so angststeif gewesen wie heuer die T-Aktien-Besitzer.

Vergessen wir also die schlichte These vom medienkompatiblen Nationalcharakter der Österreicher und wenden wir uns einer schlichten wirtschaftlichen Betrachtung zu. Österreich ist klein, der Medienmarkt auch, das Fernsehen ist durchseucht von parteipolitischer "Freunderlwirtschaft", in der Presse gibt Hans Dichands "Krone" den Ton an. Aus dieser Perspektive gewinnt der deutsche Medienmarkt eine verheißungsvolle Attraktivität, und wen wundert's, dass die Unzufriedenen über die Alpen ziehen wie weiland die Goldsucher an den Yukon.

Unserem Fernsehen übrigens tut der Österreicher an sich nur gut. Man muss ja nicht alles den Holländern überlassen.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil I)".