Lutz Kinkel

Superstars

Gerd Gebhard ist das fleischgewordene Wörtchen "zu". Sein Hemd ist zu weit aufgeknöpft, seine Stimme zu laut, seine Argumente sind zu grob gehackt. "Die öffentlich-rechtlichen Radios sind privater als die Privaten", poltert er auf einer Hamburger Podiumsdiskussion, "sie werden ihrem Kulturauftrag nicht gerecht." Um das ewige Chartgedudel zu stoppen, müsse eine gesetzlich verankerte Quote her, und zwar für Neuheiten made in Germany. Damit die vielen deutschen Bands, die sich derzeit allein von Dosenravioli ernähren, eines Tages auf die Playlist kommen. Also sprach Gerd Gebhard, Präsident des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft.

Daniel Küblböck ist nicht zu, der Typ ist "auf", wie man in Gebhards Kreisen sagt. Küblböck singt wie eine bezechte Amsel, lacht immer an den falschen Stellen und denkt wahrscheinlich den halben Tag darüber nach, ob sich nun Strähnchen färben lassen soll oder nicht. Trotzdem lieben ihn die Menschen. Wo er hinkommt, kollabieren die Teenager und wen würde es wundern, wenn nach Slatkos "Shakesbier" ein Verdauungsschnaps namens "Küblböck" auf den Markt kommen würde. Seine CDs verkaufen sich bereits wie T-Aktien zu Ron Sommers goldenen Zeiten.

Küblböck ist ein "Superstar", ein Produkt der gleichnamigen Show auf RTL, und er wird nicht der Einzige bleiben. Sat.1 startet im Juli die Castingshow "Star Search", das ZDF zieht mit "Die deutsche Stimme 2003" nach, Pro7 legt "Popstars – das Duell" auf, und last not least bringt RTL die zweite Staffel "Superstars". Der Grund für die karnickelartige Vermehrung des Formats ist so unübersehbar wie ein Getränkehandel in der Sahara: RTL erzielte mit der ersten Staffel Marktanteile bis zu 70 Prozent; die Produktionsfirma Freemantle Media schätzt, dass die Vermarktung der Show allein dieses Jahr 100 Millionen Euro Gewinn abwerfen wird. Wer wollte da naserümpfend im Abseits stehen?

Die Plattenfirmen schon gar nicht. Universal vertreibt die Popstars "No Angels" und "Bro'Sis" und kooperiert nun mit Sat.1-Bertelsmanns Label BMG bringt die Superstars heraus und kann sich mit den Erträgen demnächst den Gütersloher Stammsitz vergolden lassen. Das Geschäft funktioniert, weil der Marketingdruck kaum stärker, der Starkult kaum größer sein könnte. Kein Medienschaffender kann sich dem entziehen, am wenigsten die Musikchefs der Radios.

Womit wir wieder bei Herrn "zu" angelangt wären. Was nun, Gerd Gebhard? Schülerbands entwickeln oder Superstars züchten? Marketing mit der Gießkanne oder dem Wasserwerfer? Irgendwie weiß Gebhard auch nicht, wie sich die Musikindustrie aus der selbstgestellten Falle zwängen kann. Konzentriert sie sich auf die populären Acts, bröckelt ihr die Basis weg, vernachlässigt sie ihre Stars, stimmt die Kasse nicht. Daher der Schrei nach der Quote.

Eigentlich ist so eine gesetzliche Quote eine feine Sache. Wer könnte damit nicht alles sein Geschäft ankurbeln? Deutsche Buchläden: Ab sofort nur noch Grass, Walser und Effe! Boutiquen: Weg mit Armani, her mit Oma Kasupkes Häkelschals! Die Planwirtschaft, das weiß zumindest Gebhard, hatte doch ihre eigenen Reize.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil I)".