16.06.02

Lutz Kinkel

Riefenstahl ohne Perücke

Es ist einer meiner Lieblingssequenzen. In Berlin flattern die Fahnen mit den Olympischen Ringen im Wind, hunderttausende jubeln im Stadion ihren Stars zu, Riefenstahl rennt wild gestikulierend von Grube zu Grube und kommandiert ihre Kameramänner herum. Trotzdem klappt nicht alles, manchmal regnet es, manchmal protestieren die Schiedrichter. "Wenn Sie es wagen, meinen Kameramann vom Platz zu werfen, werde ich Sie an den Ohren zur Führerloge schleifen, Sie Schwein", faucht Riefenstahl einen Offiziellen an, der sich den kurbelnden Guzzi Lantschner vorgeknöpft hat. Aber das Gefauche nutzt nichts: Guzzi muss gehen. Wieder eine Szene nicht im Kasten.

Abends und am Wochenende, wenn keine Wettkämpfe laufen, veranstaltet Leni ihre Privatolympiade. Sie holt sich die ganzen Stars aus den Trainingslagern und läßt sie einfach nochmal springen, laufen, turnen – exklusiv für ihre Kameras. Jesse Owens, der schwarze Weltklasse-Athlet, der mit seinem bubenhaften Lächeln das Publikum verzaubert, springt bei der Nachinszenierung einen neuen Weltrekord: Riefenstahl und die Operateure überschlagen sich vor Begeisterung. Auch Glenn Morris, der amerikanische Zehnkämpfer, eine Skulptur von einem Mann, tritt unter freiem Himmel nochmals an. Als plötzlich die Sonne verschwindet, nutzt Kameramann Hans Ertl die Drehpause, um Morris' Körper mit Puder und Vaseline herauszuputzen. In seinen Memoiren schreibt Ertl:

'Glaubst du nicht, Hannes, daß dort noch etwas Glanz aufgetragen werden müßte?' schaltete sich Leni plötzlich ein, griff die Vaselinedose und salbte dem sichtlich entsetzten Superathleten ungeniert seinen rechten Oberschenkel, so daß der Mann wirklich Mühe hatte, Haltung zu bewahren. Dann ging sie lächelnd zurück, betrachtete mit zusammengekniffenen Augen ihr Werk und erklärte mit 'verliebten Nasenflügeln' in ihrem geradezu 'klassischen' Englisch: 'Nau Glen, ei tink wi bikam san.' Sie wollte sagen: 'Jetzt, Glen, werden wir bald wieder Sonne bekommen.' Nun, der geduldige Amerikaner verstand, höflich schmunzelnd, und als die Sonne tatsächlich wieder schien, drehten wir diese Szene wie vorgesehen ab. Der Vorfall war typisch für Leni, die ihren Spaß daran hatte, keusche Athleten frivol in Verlegenheit zu bringen.

Riefenstahl, die Tänzerin, Bergsteigerin, Schauspielerin und Regisseurin war zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt. Sie war klein, zierlich, schielte leicht und aus ihrem Gesicht ragte eine vogelartige Nase. Aber diese Frau sprühte vor Energie und verdrehte mit ihrem charmanten Draufgängertum jedem den Kopf. Mitten in der Kapitale des nationalsozialistischen Deutschlands begann eine stürmische Affäre zwischen dem Superstar des braunen Kinos und dem Superstar des US-Zehnkampfs. Hitler, der Riefenstahls Ergebenheit mit dem Status einer Unantastbaren belohnte, drückte auch bei dieser Affäre die Augen zu. Sollte sie machen, was sie wollte, Hauptsache sie lieferte ihm neue filmkünstlerische Großtaten.

Luis Trenker, Glenn Morris, Peter Kreuder, Hans Ertl, Peter Jacob, Anatol Dobriansky: die Liebhaber kamen und gingen. Die Narzisstin suchte keine Liebe sondern Bewunderung – und Bewunderung verbraucht sich schnell. Riefenstahl war deswegen immer wieder allein, aber nie einsam. Ihr zuhause waren Hitler, die Bankette und Feste, die eigene Firma, mit der sie ihren eigenen Vater, einen selbständigen Kaufmann, an Glanz noch übertrumpfte.

In ihren Memoiren erzählt Riefenstahl diese eine Szene über ihr Leben nach Hitler. Es war 1948, Deutschland lag in Trümmern. Riefenstahls Filme, ihre Bankguthaben, ihre Firma, ihre Villa – alles war weg, zerbombt, beschlagnahmt oder gestohlen. Die zweifache Nationalfilmpreisträgerin hatte nichts mehr außer einer furchtbaren Vergangenheit. Um ein wenig Geld zu verdienen, zog sie in München los und versuchte, Wein zu verkaufen. Zur Tarnung trug sie Perücke und Sonnenbrille. Aber sie wurde kaum eine Flasche los, das Geschäft ging überhaupt nicht. Zuletzt wurde sie auch noch erkannt – besser gesagt: das Erkennen fing gerade an.

57 Jahre später feiert Leni Riefenstahl, ein wohlhabender, schillernder Star der Popkultur, ihren 100ten Geburtstag. Zahllose Gratulanten, darunter Prominente von Reinhold Messner bis Peter Gauweiler, werden ihre Honeurs machen.

Auch kolumnen.de wartet mit einer kleinen Aufmerksamkeit auf: mit dem Buch "Die Scheinwerferin".