17.05.11

Sebastian Klug

Tanja Twitterowski hat gesiegt

Ich verkomme zusehendst. Körperlich weniger, seit ich eine hervorragende Fitness-App mit mir herumschleppe (ich vermeide bewusst den Ausdruck »auf meinem iPhone habe«). Intellektuell eigentlich auch nicht. Aber dafür literarisch.

Ich sollte mehr Kolumnen schreiben. Ich will auch mehr Kolumnen schreiben. Das Problem jedoch ist der Antrieb. Früher MUSSTE ich Kolumnen schreiben – es war der beste, schönste, einfachste und kreativste Weg, den Alltag zu verarbeiten. Aber heute?

Heute verarbeite ich den Alltag in 140 Zeichen. Wo ich vor wenigen Jahren, vielleicht Monaten, seitenlang über Obama und Osama hätte faseln und schwadronieren können, google ich heute ein Bild von Barack Obama beim Einkaufen, bastle notdürftig die lustige Turbanmütze von Osama bin Laden drauf und poste es bei Facebook mit der Bildunterschrift »Obama im Laden«. Alternativ der Präsident in Badehose, Turban drauf und dann »Obama beim Baden«. Fertig ist das Statement – und der Drang nach Artikulation ist befriedigt.

Gestern abend, um ein anderes Beispiel zu bemühen, habe ich (und das nicht einmal nebenher) einen Film mit Steven Seagal mit dem Titel »Unsichtbarer Feind« gesehen – ein unsägliches Stück Zelluloid, in dem es um ein unsichtbares Flugzeug geht, das in feindliche Hände gerät. Anstatt mich nun über die Bodenlosigkeit der Geschichte, getoppt von deren Umsetzung und die wiederum getoppt von der fernsehkompatiblen, dafür noch sinnfreieren Schnittfassung, auszulassen oder über die Frage zu sinnieren, wie viel Mimik ein Schauspieler benötigt, um als Mime zu gelten, habe ich einfach zum meinem Telefon gegriffen und meine Follower bei Twitter mit der Weisheit »Ohne #StevenSeagal wäre beim Begriff B-Movie Schluss gewesen« beglückt.

Die Zeiten ändern sich einfach zu schnell. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass, bevor ich mir überhaupt einen anständigen Blog einrichten konnte, Bloggen schon wieder Schnee von gestern ist. 140 Zeichen lange Tweets scheinen keine Erweiterung, sondern der Ersatz für ausführliche Texte zu sein. Wer muss mehr wissen als »#Osama killed. #Obama happy. #Merkel too«? Karla Kolumna, die rasende Reporterin aus Bibi Blocksbergs Heimatstadt, wurde wahrscheinlich schon längst in Frührente geschickt – ersetzt durch Tanja Twitterowski.

Gegen Tanja Twitterowski anzukommen ist hart. Sie lässt mich verkümmern, verführt mich, ein literarisches Lotterleben zu führen und bringt mich dazu, mich bei einer schnellen 140-Zeichen-Nummer in der U-Bahn an einem vier mal sieben Zentimeter großen Touchscreen selbst zu befriedigen. Denn Tanja Twitterowski ist nicht nur hinterhältig und böse, sondern sie hat – ganz nüchtern betrachtet – vor allem eines: Recht. Im Grunde zumindest. Denn wer braucht schon lange Ausführungen, wo knappe, emotionslos hingeworfene Sprachbrocken ausreichen? Klar, wer Wert auf Stil legt, Sprache nicht nur als informativen, sondern auch als kulturellen Code versteht und sich zwischen den Zeilen wohler fühlt als direkt darauf, wird weiterhin unnötig lange, schockierend vielseitige und nervtötend reflektierte Texte schreiben und lesen wollen. Doch das durchzuhalten kostet Kraft.

Der einzige Ausweg aus diesem Elend, den ich sehen konnte, war es eine Affäre mit Karla Kolumna herauf zu beschwören und diese Zeilen zu schreiben. Wenn sie veröffentlicht sind, werde ich das wohl bei Twitter melden. »Tanja Twitterowski hat gesiegt. #kolumnen.de #Sprachverfall http://bit.ly/xyz0815«