30.10.05

Sebastian Klug

Verliebtfurchtbarheit

Verliebtheit kann furchtbar sein. Nein, die Wahrheit ist schlimmer: Verliebtheit ist furchtbar. Ist sie unglücklich, ist sie furchtbar, weil unglücklich. Ist sie glücklich, ist sie ebenso furchtbar, weil einnehmend. Sie nimmt Zeit ein – aber davon hat man ja genug – und sie nimmt das Gehirn ein.

So sitze ich hier vor dem Laptop und versuche, einen Text in die Tastatur zu hacken. Meine Künstlerseele zu befriedigen und endlich wieder eine Kolumne zu verfassen. Ich will ja stolz auf mich sein, etwas auf der Haben-Liste haben.

Der erste Versuch liegt in einem zeitlichen Loch am Nachmittag. Themenfindung. Was sind Themen? Wo findet man die? Irgendwo zwischen ihren Lippen, ihrem Geruch, ihrer wundervollen Art, das »R« zu rollen, ihrer Fähigkeit, mich zu verstehen? Das zeitliche Loch stellt sich als Zwillingsbruder eines kreativen Lochs heraus, nicht nur eineiig, sondern siamesisch. Zur Ablenkung wird ein bisschen shoppen gegangen im Internet, ohne Probleme sind binnen weniger Minuten dreihundert Euro in einem Online-Musikaliengeschäft verschwunden, das Ergebnis liefert die Deutsche Post in wenigen Tagen. Nebenbei werden einige preiswert in der Mensa erstandene Pralinen vertilgt. Die Schokolade schmeckt nach ihr. Die Musik erinnert an sie – Eric Clapton singt, sie sei wundervoll gewesen heute Abend (und dabei ist es erst Nachmittag).

Der zweite Versuch ist am frühen Abend angesiedelt. In zwei Stunden wollten wir uns treffen, bevor sie nochmals abends arbeiten muss. Ein Endpunkt dieser Schreibsession ist also gegeben, und da ich bereits zu Schulzeiten am Besten unter Zeitdruck arbeiten konnte, dürfte das auch hier gut funktionieren. Was allerdings noch besser funktioniert, ist das Timing meiner Mitbewohnerinnen (seit Auftauchen meiner neuen Freundin bezeichne ich sie gerne als »Nebenfrauen«), die natürlich alle wissen wollen, wie es mir geht, ob ich immer noch glücklich bin und mir dann ebenso vehement mitteilen wollen, wie froh sie sind, mich so glücklich zu sehen, und dass sie ja so begeistert von ihr seien. Die Zeit vergeht schnell, ich muss los. Ich habe immerhin nur noch ca. eine halbe Stunde für den Fußweg von ungefähr fünf Minuten.

Der dritte Versuch findet am späten Abend statt. Ich habe sie noch an ihre Discokasse gebracht, mich kurz verabschiedet und bin anschließend, gestärkt mit einem Hühnchenburger, nach Hause gegangen. An diesen Laptop. Als ich zum zweiten Mal kurz davor bin, am Themenfindungsprozess zu scheitern und in Selbstzweifeln zu versinken, kommt eine kurze SMS von ihr. Dass ihr das Arbeiten so gar keinen Spaß macht gerade, dass einige meiner Freunde gerade zum Feiern gekommen seien und dass ich doch bitte gut schlafen soll – am nächsten Morgen muss ich früh in die Uni. Kurz vor den Vorbereitungen zum Einleiten des Landevorgangs im Bett entscheide ich mich mit einem Zittern am ganzen Körper noch mal kurz bei ihr vorbeizuschauen. Das Zittern kenne ich, das hatte ich zuletzt mit 17, als ich die schöne Susanne anrufen wollte und bei der letzten Ziffer ihrer Telefonnummer keine Luft mehr bekommen habe. Jetzt muss ich nicht anrufen, sie nicht herumkriegen, mit mir ins Kino zu gehen, jetzt müsste ich einfach nur schlafen gehen. Ich schaffe es nicht, schwinge mich aufs Rad – im Hinterkopf immer das Notargument, ich müsste mir den Hühnchenburger runterstrampeln – und besuche sie kurz, nur um sie zu küssen und in ihr Gesicht zu blicken.

Der vierte Versuch ist jetzt. Nichts kann mich jetzt mehr aufhalten. Der Themenfindungsprozess wurde aufgegeben, das Thema auf sie beschränkt. Der frühe Termin am nächsten Morgen wurde im Kopf bereits beiseite geschoben, wer braucht schon Schlaf? Darüber hinaus ist eigentlich mittlerweile klar, dass ich mit dem ganzen Geschreibe nicht mehr an einen Punkt kommen kann, an dem ich ein Resümee ziehen oder gar eine Weisheit destillieren kann.

Was bleibt, ist die Verliebtfurchtbarheit. Tief sitzende Zufriedenheit mit integrierter Frustrationsarmut. Ein großer Künstler werde ich so nicht. Dafür bin ich aber der glücklichste Mann auf Erden. Weil eben furchtbar verliebt.