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»Nachdenken über existentielle Fragen
Teil II: Das Bewusstsein« vorgetragen von Melanie Knapp
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).
Ich kann nichts über das Bewusstsein schreiben, weil ich zu zerstreut bin. Seit Tagen wundere ich mich über eine Plastiktüte, die an mein Bett gelehnt in meinem Zimmer steht. Vorhin schaute ich einmal hinein: Es ist Holz darin. Gehackte Holzscheite.
Über mir wohnt eine alte holzheizende Frau. Sie ist schon 93 Jahre alt. Nachdem sie das Holz mit der schweren Axt gehackt hat, ist sie zu schwach, es zu ihrer Wohnung in den dritten Stock zu tragen. Darum packt sie es in Plastiktüten und stellt die Tüten ans untere Ende der Treppe. Freundliche junge Menschen tragen die Tüten die Treppe hoch, aber oben vergessen sie, dass sie die Tüten in der Hand haben und laufen dann den ganzen Tag mit ihnen herum. Manchmal stellen sie sie an ihr Bett. Später wundern sie sich.
Ich schreibe mir manchmal Zettel, um wichtige Erledigungen nicht zu vergessen. Ich vergesse aber immer, dass ich mir die Zettel geschrieben habe, und vergesse, sie zu lesen.
Lese ich die Zettel doch einmal, wundere ich mich. Es stehen seltsame Dinge darauf, an die ich mich nicht erinnern kann. »Holzhacken« stand heute morgen auf einem Zettel, und darunter »joggen«. Ich denke, das ist einer dieser Tricks, mit denen die versuchen, mich dazu zu bringen, etwas zu tun, was ich nicht will. So läuft es doch, das ganze Leben, jeden Abend denken die sich ihre Zettel aus und morgends rennst du los, um diese Zettel abzuarbeiten – Geld verdienen, Krankenversicherung abschließen, Rentenversicherung abschließen, das Haus immer abschließen, das Leben beschließen – eins nach dem anderen, und auf dem letzten steht der Tod, so ist es doch, machen wir uns doch nichts vor, die haben doch alles fest im Griff.
Also Joggen, das mach' ich nicht. Hab' ich noch nie gemacht. Würd' ich gar nicht selbst draufkommen.
Heute morgen habe ich der holzheizenden Frau eine Zeitschrift vor die Tür gelegt, die ich kurz zuvor in meiner rechten Hand gefunden habe.
Die holzheizende Frau kam extra die Treppe runter, um sich zu bedanken. Sie sagte, sie habe den Artikel über die gesundheitsfördernde Wirkungen des Laufens sehr interessant gefunden, sie sei aber in ihrem ganzen Leben noch nie gejoggt und werde jetzt wohl auch nicht mehr damit anfangen. Die Zeitschrift habe sie inzwischen verschürt, da sie kein Holz mehr habe. Ich bin mir keiner Schuld bewusst.
Lesen Sie weiter in (Teil III: Das Denken).