04.09.05

Melanie Knapp

Nachts, wenn es hell wird

Es werde Licht! Nun auch bei mir. Es ist unglaublich: Seit ich unbemerkt von meinen Mitbewohnern die Energiesparlampe in meinem Zimmer gegen herkömmliches Leuchtwerk ausgetauscht habe, kann ich mitten in der Nacht am Schreibtisch sitzen. Nichts schwummert, flimmert und dämmert. Die Schattenseiten des Lebens kehren mir den Rücken zu. Es ist so hell, dass ich sogar die Helligkeitseinstellung meines Bildschirms ein paar Kästchen zurückfahre.

Warum erzähle ich das? Möchte ich den Melkkühen der Nation an deutschen Tankstellen, den Wichmanns von der CDU, den Verschwörungstheoretikern aus der rechten Ecke und allen Dosenpfandgeplagten ein weiteres Beispiel dafür geben, wie die Ökos Innovation und Fortschritt bremsen? Da müsste ich mir erstmal etwas einfallen lassen. Wie wär’s mit »Kauft 60-Watt-Glühbirnen, solange es noch Atomkraftwerke gibt«? Quasi als Fortsetzung der paradoxen Kult-Reihe »Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt« (Mehmet Scholl). Aber ist das innovativ?

Energiesparen kann innovativ sein. Geldsparen eher nicht. Zum Beispiel bringt es gar nichts, billige, aber ungeeignete Energiesparlampen mit der Aufschrift »Discount« zu kaufen. Rausgeschmissenes Geld. Überhaupt Discount. Was heißt das eigentlich – dis-count? Falsch gezählt? Ver-zählt? Ein Kaufhausdieb wird mit Fug und Recht von der Liste der unbescholtenen Bürger gestrichen. Ein Beamter mit einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro, der im Discounter an der Ecke Bananen für 20 Cent kauft, nicht. Kann man von 20 Cent Bananenstauden pflanzen, ArbeiterInnen bezahlen, einen Transport von einem zum anderen Ende der Welt organisieren, Händleraufschlag, Mehrwertsteuer, Mini-Jobber, Kasse, Nebenkosten, etc...? Ja, natürlich, kein Problem, und zwar indem man sich ver-zählt.
Naja, das blöde Bananenbeispiel. Für was das schon alles herhalten musste. »Die Ökos hängen an den Bananen, wie die Ostdeutschen an ihrem Sozialismus«, denken die frustrierten Rechten und wackeln mit dem Kopf. Wie die Antifa an der PKK, Lafontaine an »großen Gesten« (»nichts ist mächtiger, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist«) und die Motte an der 60-Watt-Glühbirne. Man könnte formulieren: Oskar Lafontaine hängt genau wie ich und die Motte an herkömmlichem Blendwerk.

»Das Chancenplus war ausgeglichen«, kommentierte Lothar Matthäus, auch keine große Leuchte also, aber durchaus ein passendes Statement für diese Bundestagswahl. Vielmehr Vorwahlzeit, was schon wieder nach Sparen klingt, denn jeder Bürger weiß ja, dass durch Wahl der richtigen Vorwahl die Telefonrechnung »schlankgespart« werden kann. »Schlanksparen« ist wiederum ein ganz großes Stichwort, zu miefig vielleicht, um zur Chefsache erklärt zu werden, aber letztendlich hängen wir ja alle am »Schuldentropf«.
Darüber hinaus hängt die CDU in diesem Wahlkampf an »Ehrlichkeit«, »Bescheidenheit« und überhaupt an »Werten« (und »Bayern« ruft jemand dazwischen und wackelt mit dem Kopf).
An Arbeitsplätzen, dem Gebot der Stunde, hängen sie alle, und zwar selbstverständlich, an erster Stelle und mit oberster Priorität.
Ich kenne eigentlich nur Menschen, die arbeiten. Vielleicht ist arbeiten wie denken. Bekanntlich kann man nicht nicht denken. Ich kenne sogar eine ganze Menge Menschen, die nicht nur nach meinem und ihrem Empfinden, sondern auch nach dem Empfinden eines Arbeitgebers arbeiten, aber ihre Existenz damit nicht sichern können. Es gibt jetzt sogar ein Schimpfwort für diese Menschen: Konsumbremsen. Igitt. Kaum ist es nochmal Sommer, die Konsumstimmung hellt sich auf, Politiker wittern ein klimatisches Geschenk, aber da kommt das Hochwasser. Wie damals: erst die Flut, dann die Mücken. Und dann die Konsumbremsen. Wer möchte die nicht – patsch – in einen kleinen roten Fleck verwandeln? Auch das dachte sich Oskar Lafontaine, holte aus (die große Geste) und – patsch – war da an der Wand kein roter Fleck, sondern bestenfalls was Rotbraun-Vermischtes, Ekelerregendes.

Zurück zum Discount, zum Geiz, zur Diskalkylie, zu Obst und Gemüse. Es gibt also nicht nur Discount-Bananen, es gibt auch einen Discount-Arbeitsmarkt. Was aber ja auch ein Zukunftsmodell weisen könnte. Zum Beispiel, wenn es eine Grundsicherung gäbe.
Oder gibt es die jetzt schon?
– Ja!
– Nein!
– O doch!
– Wo denn?
– Da hinten!
– Ach was!
– Doch!
– Nein!
In solchen festgefahrenen Streitsituationen besteht der einzige Ausweg im Wechsel auf die Metaebene: Was steht hinter dem nein? Und siehe da, hinter dem Nein stehen »Ehrlichkeit«, »Bescheidenheit«, »Werte«.
»Und Bayern!« ruft es schon wieder dazwischen, und bei solchen die Anbiederung an Freibierveranstaltungen nicht scheuenden Zwischenrufern kann so ein Wechsel einfach nicht elegant ausfallen.

Und wenn doch? Wenn der Wechsel eintritt, die Wende kehrt macht, der Wandel die Farben verwechselt und alles, wirklich alles, von den Bananen bis zu den Arbeitsplätzen, besser wird?
Dann schlage ich das Lothar-Matthäus-Paradoxon zur Ausübung wahrer Bescheidenheit vor, entwickelt in Karlsruhe, anlässlich des unerwarteten Siegs der ungarischen Nationalmannschaft über – jawohl – Deutschland:
»Wir haben hier heute das Wunder von Kaiserslautern geschafft, aber ich denke man sollte das nicht überbewerten.«
Eben.