12.03.07

Melanie Knapp

Mit R2D2 im Neujahrskonzert der Münchner Philharmonie, 1. Teil

In den Wochen vor dem Jahreswechsel wird das zurückliegende Jahr neu geordnet. Plattenfirmen veröffentlichen Compilations, medientreue Kinder erlernen die Steigerungsformen »best of« und »worst of«, dazwischen prickeln Sekt und Galen. In der letzten Deutschstunde des Jahres erläutert Bastian Sick, wie der Plural von Gala tatsächlich gebildet wird.

Ich verfolge zur selben Zeit die Diskussionsrunde »Brot statt Böller – was kostet uns die Kracherei?«. Hier werden Menschen bei der Nennung von 100 Millionen Euro, die zum Jahreswechsel in den deutschen Himmel geschossen werden, fleckig im Gesicht und verweisen auf sechs Millionen hungernde Kinder. Glauben die denn wirklich, dass es zur Schaffung einer gerechten Welt ausreicht, dass die Einwohner der nördlichen Hemisphäre auf ein paar Gimmicks ihrer Lebensgestaltung verzichten?

Zugegeben, bei der Betrachtung der Relationen zwischen den Summen, die auf der einen Seite so viel und auf der anderen Seite gar nichts bewirken können, muss auch der erfahrenste Freeclimber für einen – vielleicht entscheidenden – Moment den Halt verlieren. Und auch mir sind diejenigen meiner Mitmenschen sympathisch, deren Silvesterlaune sich unabhängig von pyrotechnischen Errungenschaften frei und ungebunden im Raum bewegt. Dennoch haftet diesen Massen-Verzichts-Kampagnen etwas Willkürliches an. Genauso gut könnte man sich zum Ziel setzen, dass fünf Millionen Menschen im Jahr 2007 auf Dauerwellen verzichten. Oder auf Geranien. Entgegen dem gängigen Naturverständnis können die keine lobenswerte Ökobilanz vorweisen. Bei all den im Landrover vorgenommenen Transportfahrten in das El Dorado urbaner Gartenpardadiese!

Dort gibt es neben Geranien noch reichlich an furchteinflößendem Zubehör. Als ich einmal durch die Gartenabteilung eines Baumarktes spazierte, entdeckte ich eine verranzte Packung mit der Aufschrift: Horn-Blut- und Knochenmehl. Marilyn Manson würde sich nach dem Stoff, mit dem normale Menschen ihre Geranien düngen, die Finger lecken. Denjenigen, die gerne behaupten, dass irgendwelche Dinge nur in Deutschland möglich seien, sei hiermit die These vorgeschlagen, dass es nur in Deutschland möglich ist, solche Dinge als »Hobbybedarf« zu deklarieren.

Mit der Erziehung kann es ein jeder halten wie mit der Silvesterböllerei. Meine Kinder aber werden mich vergeblich um einen Besuch bei Obi, Praktiker, Hornbach oder ähnlichen dem Genre des Splatterfilms nahestehenden Fachgeschäften ersuchen. »Ihr braucht gar nicht erst eure Zimmer aufräumen! Lasst den Schimmelentferner stecken und bleibt auf dem Teppich! Wir gehen nicht zu Obi, und damit basta!«

»Aber Mami, wir haben doch gerade als Hausaufgabe auf, Traumberufe zu erfinden im Stile von ›Feldstecher‹ oder ›Brotmesser‹, und da gäbe es bei Obi bestimmt jede Menge Inspirationen.« »Schimmelentferner«, sage ich, und meine Kinder schreiben begeistert auch noch »Badreiniger« auf. Danach zeige ich mit »Wagenlenker«, dass ich das Prinzip noch gar nicht verstanden habe. Meine Kinder erfinden »Dauerlutscher« und »Bauchplatscher«, und retten meinen Wagenlenker durch die Schaffung des Traumberufs »Fahrradlenker«. Dann wechseln sie zur Webseite von Amazon und finden unter Haushaltsgeräten den »Nudeltrockner«.

»Nudeltrockner – das ist doch nur ein Gimmick moderner Lebensgestaltung«, versuche ich meine Kinder zu verunsichern, aber Uli M. aus H. schreibt, der Nudeltrockner habe seine Welt geändert. Zuvor habe er die Nudeln mühsam auf Handtüchern ausgebreitet oder über die Stuhllehne gehängt. Ich stelle fest, wie unterschiedlich die Welten verschiedener Menschen sind. Dann erkläre ich den Kindern, dass ein Kurzzeitmesser nicht das Gegenteil von einem Langhaarschneider ist, und dass ich jetzt in die Küche gehen werde, um Kartoffelpuffer zu machen. Das stößt hausaufgabentechnisch auf Begeisterung. »Ich werde Fahrradlenker oder Uhrzeiger, aber zuallererst mache ich eine Ausbildung zum Kartoffelpuffer«, krähen die Kinder und folgen in die Küche, um mir die Rezension eines Zwiebelhackers näherzubringen. Anne W. aus M. findet es besonders hervorhebenswert, dass der Zwiebelhacker »absolut platzsparend« sei und ich überlege kurz, ob das Urteil »absolut platzsparend« für ein Haushaltsgerät ungefähr das gleiche bedeutet als die Beschreibung »wenn man schon besoffen hingeht, ist es irre« für eine Veranstaltung.

Gott sei dank schreibt Anne W. noch, mit dem Zwiebelhacker ließen sich die Zwiebeln »ganz ohne Tränen zerkleinern«, und ich weiß nun doch, dass der Zwiebelhacker zusammen mit der Dauerwelle und den Geranien in eine Schublade mit der Aufschrift »Gimmicks« gehört. Zwiebeln lassen sich viel einfacher tränenlos zerkleinern.

Wem das hinterwäldlerisch und knauserig dünkt, der soll sich einmal folgendes vorstellen: Die Aktion »Brot statt Zwiebelhacker« leiht sich eine Anti-Zwiebelhacker-Fee. Die Anti-Zwiebelhacker-Fee schnippt in die Finger und »hex hex« sind alle Zwiebelhacker im deutschsprachigen Raum in das Geld verwandelt, das sie gekostet haben. Die Brot-statt-Zwiebelhacker-Fee zaubert nun das Geld auf das Konto der Aktion »Brot statt Böller«. Diese stiftet vor Freude auf ihrer Galaveranstaltung zum Jahresende ein gewaltiges Feuerwerk. Alle sind glücklich. Auch die Zwiebelhacker, die sich der Nutzlosigkeit ihrer Existenz beraubt sehen.

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Foto von Melanie Knapp