13.03.07

Melanie Knapp

Mit R2D2 im Neujahrskonzert der Münchner Philharmonie, 2. Teil

Neulich verfolgte ich im Fernsehen ein Diskussion über die Ursachen des Klimawandels. Eine Schauspielerin fragte einen Klimaforscher: »Also, das FCKW, das kennt man ja von den Haarsprays, aber dieses andere, das CO2 oder was, wie kann man denn das reduzieren? Jetzt mal abgesehen vom Autofahren und so.«

»Abgesehen vom Autofahren können wir gar nichts tun«, antwortete der Klimaforscher leider nicht, und das wäre so natürlich auch nicht richtig gewesen, aber ein gutes Beispiel dafür, wie ein objektiv falscher Satz eine tiefe Wahrheit transportieren kann. Stattdessen antwortete der Klimaforscher: »Wir sollten alle unsere Stand-by-Geräte ausschalten«. Dies ist ein Beispiel, wie ein objektiv richtiger Satz in der Lage ist, die Wahrheit zu verschleiern.

Der Klimaforscher hätte genauso gut sagen können, wir sollten alle jeden Tag zehn Minuten weniger Fernsehen und stattdessen über die Frage nachdenken: »Wie kann es sein, dass von zwei Dingen, die sich widersprechen, beide richtig sein können?« Meiner Meinung nach habe ich diese Frage in diesem Text beantwortet, aber Inhaber anderer Meinungen können unter www.droppingknowledge.org nachlesen, welche Antworten 112 »alternative thinkers« zu dieser und anderen Fragen am 08. Sept. 2006 in konzentrierter Runde auf dem Berliner Bebelplatz in die vor ihnen aufgestellten Webcams murmelten. Bei dem Besuch der von der Gesellschaft für Künstliche Intelligenz geförderten Seite erlebt der Nutzer ein Sinnbild des Internets. Einfach ist es nicht, sich durch den Wust an Fragen und Antworten zu bewegen, aber wer sein inneres Auge für Zufallstreffer offen hält, kann Perlen heben.

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Wo sind die alternativen Denker?

Foto von Melanie Knapp

Ich selbst habe diese Geduld nicht. Ich begenüge mich damit, die alternativen Denker life und ohne Schnittstelle beim Denken beobachtet zu haben. Das hundertfache Gemurmel verlieh dem Platz eine sakrale Atmosphäre und lud zur Stille ein. Ehrfürchtig umkreisten Studenten, Touristen, Intellektuelle und Schaulustige den murmelnden Kreis und wussten nicht so recht, was sie tun sollten. Zu sehen gab es schließlich nichts, außer Webcams und murmelnden Persönlichkeiten verschiedener Nationalitäten. Glücklich waren da diejenigen, die einen Fotoapparat dabei hatten.

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Hier sind zwei

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Die anderen Besucher schimpften über die Verschwendung von Steuergeldern, obwohl niemand wusste, ob die Aktion Steuergelder gekostet hatte. Ohnehin sind die Meinungen, was nutzbringend und was sinnlos ist, so verschieden wie die sie beherbergenden Menschen. Und dass Menschen verschieden sind, kann ich jederzeit beweisen. Selbst Psychologen glauben heute nicht mehr, dass alle Menschen gleich sind, sondern nur im Durchschnitt ähnlich, und so gilt's auch für die Geschmäcker.

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Und hier?

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Meine Oma, die ich mit bestem Recht und Gewissen als absolute Durchschnittsoma bezeichnen könnte, würde niemals auf ihre abgeerntete Blumenkohlfrisur verzichten, obwohl ohne Dauerwelle schönes, glattes, weißes, Haar ihre Konturen fein umzeichnet. Was meine Oma hingegen schon macht: Sie benutzt zum Essen Teller.

Burrhus Frederic Skinner, der manchmal als der Begründer der Verhaltenstherapie gehandelt wird, fand Teller in Kantinen überflüssig. In seinem utopischen Roman »Walden Two« lässt er den Besichtiger einer utopischen Gemeinschaft begeistert erkennen, dass man das Essen auch gleich direkt auf das Tablett servieren kann.

In der Mensa der Universität Erlangen wurde dieses Verfahren bis vor drei Jahren praktiziert. Die Studenten fanden das unappetitlich. Deshalb erfanden sie den Werbeaufdruck. Das Studentenwerk musste erkennen, dass nicht die Menge an Arbeitsschritten oder der Umfang an eingesetztem Material, sondern die Höhe der Werbeeinnahmen den Preis einer Dienstleistung bestimmt. Doch wie sollen werbebedruckte Esstabletts ihre manipulative Kraft entfalten, wenn das markige Firmenlogo vom ins Leere stierenden Auge einer blauen Forelle verdeckt wird? Oder vom ausgezehrten »Hähnchenflügel Outback«, mit dem sich die Mensaküche zu kulinarischen und kreativen Höchstleistungen emporschwingt? Aus diesem Grunde findet Esskultur nun auch im studentischen Milieu wieder auf der Grundlage von Tellern statt, und zu ihrem Transport dienen großflächige Tabletts.

Ob die Mensaküche Zwiebelhacker im Einsatz hat, weiß ich nicht. Ich vermute es. Ein Gerät, das sie sicher nicht verwendet, das sich jedoch in vielen Privathaushalten seinen Platz auf dem Küchenbuffet erkämpft hat, ist die Brotbackmaschine. Ich hatte einmal einen Freund, der eine Brotbackmaschine hatte, die aussah wie R2D2. Wenn R2D2 Brot buk, leuchteten seine Dioden kommunikationslustig auf. Bald begann er von ausgedehnten Spaziergängen über den Wüstenplaneten Tatooine zu träumen und verfiel in rhythmische Gewichtsverlagerungen, bis das Brot fertig war.

Als ich meinen Kindern von R2D2 erzählte, wollten sie unbedingt eine Brotbackmaschine haben. Aber die Meinungen, welche Dinge nutzbringend und welche Dinge überflüssig sind, bleiben verschieden.

Als ich meiner Oma gestand, dass ich die alle sechs Wochen an ihr vorgenomme Prozedur des Dauerwellens für sinnlos erachte, da ihr glatte Haare bestens stünden, sagte sie »Das finde ich ja auch, aber es sagt einem keiner, und dann quält man sich halt immer wieder zum Friseur.«
Ich möchte nicht so weit gehen, ihr den Verzicht auf ihren Zwiebelhacker vorzuschlagen, obwohl meine Oma sehr wohl eine Taucherbrille hat, die sie zum Zwiebelschneiden tragen könnte.

Auffallen würde das nicht. Mit dem Freund, dessen Brotbackmaschine aussieht wie R2D2 besuchte ich einmal ein klassisches Konzert. Statt einem Opernglas setzte er sich eine Schwimmbrille auf den Kopf. Als ich es bemerkte, entstand in mir ein innerer Konflikt. Es gelang mir nicht, über die Albernheit des Anblicks souverän hinwegzugehen, weil ich von einem Lachkrampf geschüttelt wurde. Lobenswerterweise blieben um uns herum alle konzentriert, und ich wage zu behaupten, dass es sich bei den Veränderung der Verhaltenskodizes in einem klassischen Konzert in den letzten Jahrzehnten um die tiefgreifendsten und rasantesten Veränderungen handelt, die die Gesellschaft in dieser Zeit erlebt hat. Von der Erfindung der Babytragetasche einmal abgesehen.

1978 wäre man noch des Saales verwiesen worden, wenn man sich unkorrekt gekleidet dem Genuss echter klassischer Musik zugewandt hätte. Heutzutage könnte man auch mit R2D2 ins Neujahreskonzert der Münchner Philharmonie spazieren, niemand würde Anstoß nehmen.