13.05.06

Melanie Knapp

Keine Zeit für Helden

Es gibt sie noch, die Helden der Gesellschaft, auch »Stützen« genannt, obwohl die Gesellschaft ja allerorts auseinander fliegt, alle den Bach runter und die Dachdecker entzwei gehen. Die ZEIT stellt ihren Lesern »Helden der Gesellschaft« vor, wie sie sich diese vorstellt. Und das ist schon interessant. »Diese Frau hält unsere Gesellschaft zusammen«, ist auf der Titelseite zu lesen, und ich sehe sofort, dass der Besen Krankenschwester ist und gut kehrt. Die taz hatte eine ähnliche Serie. Die gleiche Idee, ein bisschen selbstironischer und auf einen etwas anderen Schlag von Mensch projiziert. Politische Menschen, die Vereine und Projekte gründen und irgendwo am Rand agieren. Menschen, die die Gesellschaft eher ein bisschen durcheinanderbringen.

Frau Elvira Pittelkau, die erste Heldin der ZEIT, ist nicht politisch. Zumindest interessiert das nicht. Politisch benutzt wird die eifrige Altenpflegerin, die morgens schon um 5:20 zur Arbeit kommt, obwohl die Frühschicht erst um 5:45 beginnt, trotzdem. HeldenZEIT: »Denn während die Gewerkschaft ihren Kampf um 18 Minuten Arbeitszeit pro Tag führt, die angeblich den Unterschied zwischen Sozialpartnerschaft und Ausbeutung begründen, wirft Elvira Pittelkaus Arbeitspensum die Frage auf, wozu der Mensch eigentlich Freizeit braucht.«

Also, ich brauche meine Freizeit, um mich über solchen Käse zu entrüsten. Immerhin ist im zitierten Satz nicht weniger als alles falsch. »18 Minuten« z. B., ist nicht richtig. Aber informieren Sie sich selbst. Heutzutage ist ja Internet. »Pro Tag« ist auch falsch. Es geht nun mal nicht um eine Arbeitszeitverlängerung pro Tag. Es geht auch nicht um einen Unterschied zwischen Sozialpartnerschaft und Ausbeutung, der sich in Arbeitsminuten messen ließe. Der Unterschied zwischen Sozialpartnerschaft und Ausbeutung besteht darin, ob nach einem gemeinsamen Vertrag, auch Tarifvertrag genannt, gearbeitet wird, oder, wie seit zwei Jahren an den Unikliniken der Fall, Wochenarbeitszeit und Gehalt vom Arbeitgeber einseitig fest geschrieben werden.

Aber das lässt sich ja alles nachlesen. Ein weiterer Freizeittipp!

Man kann seine Freizeit jedoch auch dazu benutzen, Krankenpfleger und -schwestern zu beschimpfen, die Verdi zu diesem Zweck regelmäßig eintütet und in der Fußgängerzone abstellt.

Eine Passantin: »Mein Mann hat 40 Jahre lang 50 Stunden in der Woche gearbeitet, und Sie machen alles zunichte, wegen 18 Minuten!«
Krankenpfleger: »Ich mache waaas?«
Passantin: »Sie machen den Aufschwung kaputt, den wir alle wollen. So wird das in Deutschland nichts mehr. Wenn sich alle ins Hemd machen würden, wegen 18 Minuten...«
Krankenpfleger: »Nicht ins Hemd, in den Kittel bitte, und wenn ich das nächste Mal 18 Minuten höre, haue ich Ihnen eine rein.«
Passantin: »Wie bitte? Sie wollen mich schlagen?«
Krankenpfleger: »Warum nicht? Ich schlage Sie krankenhausreif, dann können Sie sich das auf Station mal ansehen und in Ruhe entscheiden, wieviel Sie da gespart haben wollen.«
Passantin: »Wenn Sie 18 Minuten länger arbeiten täten, wären Sie auch 18 Minuten länger für mich da.«
Krankenpfleger hebt die Hand: »Wollen Sie das wirklich?«
Passantin, schnell: »Halt, entschuldigung.« dann entrüstet: »Jetzt entschuldige ich mich schon, obwohl Sie es sind, die sich entschuldigen müssten. Wir haben 40 Jahre lang gearbeitet und uns eingesetzt und Sie....«
Krankenpfleger: »ich mache Ihnen Ihren Aufschwung kaputt. Aber ich werde Ihnen die Windeln wechseln, wenn der Aufschwung Sie kaputt gemacht hat. Und Sie sich ins Hemd machen.«
Passantin: »Darauf kann ich verzichten.«
Krankenpfleger: »Das sollten Sie auch.«
Passantin: »Wieso?«
Krankenpfleger: »Weil ich Ihnen eher einen Katheter legen werde. Das geht schneller. Den kann ich mir selber auch gleich legen, wenn ich auf Arbeit keine Zeit habe, aufs Klo zu gehen.«
Passantin: »Also, mein Mann war 40 Jahre lang selbständig. Der hatte immer zuviel Arbeit und ist abends nie fertig geworden. Da ist er dann halt einfach länger geblieben.«
Krankenpfleger: »Genau. Und jetzt denken Sie, der Arbeitgeber verlängert unsere Arbeitszeit, damit wir ein bisschen mehr Zeit für unsere Arbeit haben und besser pflegen können.«
Passantin: »Nun ja.«

Krankenpfleger: »Warum werden dann die Schichten nicht verändert? Warum die Überlappungszeiten zwischen Nacht- und Früh- und Früh- und Spätdienst nicht verlängert? Oder gar die von den Pflegekassen bezahlten Pflegeminuten. Wie wär's mit 10 Minuten statt 2 für Waschen obenrum. Oder 10 Minuten statt 3 für Waschen untenrum? Dann wäre vielleicht noch eine Windel drin. Es geht aber nur darum, dass ich 24 Tage mehr im Jahr arbeite. Einfach mal den Urlaub abarbeite. Unter den gleichen bescheuerten Bedingungen. Was meinen Sie, gehe ich dann kulanter oder pünktlicher nach Hause? Ich sage Ihnen was, so pünktlich wie ich dann nach Hause gehe, bin ich noch nie gegangen. Ich gehe so pünktlich, dass Frau Pittelkau schon um 5:20 statt um 5:45 zur Arbeit kommen muss, um eine ausführliche Übergabe bekommen zu können.«
Passantin: »Wer um Himmels Willen ist Frau Pittelkau?«
Krankenpfleger: »Eine Heldin. Menschen wie Frau Pittelkau halten die Gesellschaft zusammen.«
Passantin: »Ach, das habe ich neulich irgendwo gelesen.«
Krankenpfleger: »Ja, aber wir kommen, um die alten Helden abzumelden. Die Akademikerpresse hält natürlich nur zu den Pharmamarionetten. Die Ärzte müssen schon mehr verdienen, weil sie sonst abwandern. Die Zustände in den Pflegeheimen sieht ja keiner, solange...« denkt nach

Passantin: »Solange?«
Krankenpfleger: »Solange Frau Pittelkau nicht abwandert, weil sie es nicht mehr aushält.«
Passantin erschrocken: »Würde sie das denn tun?«
Krankenpfleger: »Nein. Sie ist zufrieden.«
Passantin: »Sehen Sie. Sie ist zufrieden.«
Krankenpfleger: »Sie besucht Fortbildungen. Das ist wie Urlaub. Sagt sie selber.«
Passantin: »Na, dann besuchen Sie doch auch Fortbildungen.«
Krankenpfleger: »Ja, das werde ich. Vielleicht 24 Tage im Jahr. Nur wird es niemand geben, der die tollen Dinge, die ich mir in den Fortbildungen ausdenke, am Bett umsetzt. Für fünf Pfleger, die 5 Wochen mehr arbeiten, kann ja ein sechster gehen. Oder nicht länger bleiben. Die Neuen sind ja alle befristet und außer Tarif. Eine Gewerkschaft wäre ihren Namen nicht wert, wenn sie nicht dagegen kämpfen würde und....«
zieht seine Streiktüte aus »... nicht jedem, der 18 Minuten sagt, eine rein haut.«
zieht die Streiktüte der Passantin über und haut sich selber eine runter
Passantin erschrocken: »Sie bluten ja.«
Krankenpfleger: »Das macht nichts. Muss eh' zum Dienst.«
fasst die Passantin an beiden Schultern, pathetisch: »Vertreten Sie mich gut. Ich setze auf Sie. Halten wir die Gesellschaft zusammen!«
Krankenpfleger ab
Passantin schaut ihm verwirrt hinterher »Auf Wiedersehen. Ruhigen Dienst.«
zu sich selbst: »und alles nur wegen 18 Minuten.«