19.11.01

Melanie Knapp

Seitdem der Krieg ist

...wohne ich nicht im Keller. Die da unten machen ja genauso alle nur, was sie wollen. Deshalb interessiere ich mich weiterhin für kreative Geschenkideen, studiere Benzinpreise und verstehe unter guter Unterhaltung Seitenhiebe auf die Frisur von Angela Merkel, die ja gar keine ist, ha ha?

Morgens wünsche ich mir eine neue Couchgarnitur (Platz 1 auf der Wunschliste der Bundesbürger) und abends möchte ich Fernsehen. Zappen, frech gesagt.

Letzteres aber ist schwierig geworden. Allianzen, die zusammengehalten oder zur Zurückhaltung ermahnt werden müssen – beides läuft großspurig unter der Rubrik der politischen Lösung – erobern den Bildschirm.

Das möchte hier niemand sehen. Nicht in dieser distinguierten Stadt, in der Bürger nach Feierabend Papageien spazieren führen und halbseidene Zwergkampfhunde auf den Namen »Mucki« hören. Innerhalb von acht Wochen wurden in dieser Stadt Tausende Fernsehapparate vernichtet. Eine späte Lehre aus dem Golfkrieg. Leider die Einzige.

Und nun zu den wahren Problemen des Alltags. Was tun nach Feierabend, wenn es weit und breit keine Röhre gibt, in die man gucken könnte, und der Feierabend schon früh morgens beginnt?

Sehr einfach. Das Pendant zum Zappen heißt Zeitschriftenblättern (Amateure), bzw. Zeitschriftenkampflesen (Profis). Austragungsort sind die öffentlichen Bibliotheken, der Gegner die Öffnungszeiten. Das Ziel liegt in der maximalen Horizonterweiterung durch Zeitschriften, die einem im Traum nicht einfallen. Oder gibt es Menschen, die von »Jagd und Hund« träumen? Meinungen gibt es ja so viele, wie es Menschen gibt. Zeitschriften sicherlich mehr. Wenn es nun aber mehr Meinungen als Zeitschriften gibt, was immerhin möglich ist, geraten wir in eine verhängnisvolle zirkuläre Triade, ohne zu wissen, was das nun wieder sein soll. Vom Wissensdurst gepeinigt greifen wir in der Abteilung Psychologie zu einem Ratgeber und lesen »Von der Diade zur Triade – das Ende der Zweisamkeit?«. Aaargh, das sitzt. Verschreckt pfeffern wir das Buch in die hinterste Ecke des Lesesaals. Dort fällt ein Stellvertreter erschüttert aus seinem Regal.

Wir legen den Stellvertreter dem Stadtbüchereibeamten Fachgebiet Ausleihe vor, der ihn in eine Compact Disc und das gesichtslose »wir« in ein sympathisches »ich« verwandelt.

Ich verlasse das Gebäude der Stadtbücherei, treffe vor dem Eingang auf mein Fahrrad und spanne ihm die Compact Disc auf den Gepäckträger. In diesem Moment wird aus einem Fenster im zweiten Stock ein Fernseher geworfen, der ebenfalls auf mein Fahrrad trifft, wodurch der Gepäckträger die Form eines unabhängigen Medienrings einnimmt, weil ihm gerade nichts besseres einfällt. Die Hülle der Compact Disc wird zerstört, die Compact Disc komprimiert sich und entkommt als mp3.

Da sind sie wieder, die wahren Probleme des Alltags. Deprimiere mich zu einem Häuflein Elend. Schiebe kraftlos mein Fahrrad. Trübe Gedanken begraben mein Hirn. Die Welt ist schlecht wie die gleichnamige Zeitung, aber wenigstens nicht AOL-blau. Die Passanten sind hässlich, wie sie mit Jagdhunden spazieren gehen, dabei habe ich gar nichts gegen Jagdhunde. Der Gehsteig ist zugeparkt. Eine Passantin spuckt mich an, weil ich auf der falschen Seite in die richtige Richtung laufe. Oder umgekehrt. Mein Fahrrad bricht zusammen.

Und nun zu den Lösungen. Die Lösungen unserer wahren Alltagsprobleme sind genauso bescheuert, wie die Probleme selbst. Da ist es wieder, das gesichtslose »wir«.

Wir gehen in eine Supermarktkette. Wir hören die Kaufhausbeschallung. Wir singen alle mit.

Ein Lächeln ist mehr wert, als du denkst.
Ein Lächeln ist Gold, das du verschenkst.
Ein Lächeln ist billig, kostet gar kein Geld,
und erobert dir trotzdem die Kundenwä-ält.

Wir lächeln. Nein, ich kann das nicht so lange.
Aufhören!

P. S. Zu dieser Kolumne sollte man sich eine gute Scheibe von den Goldenen Zitronen genehmigen. Allerdings bleiben auch dann noch Fragen offen.

1.) Sollten Menschen, die mit der Produktion von Kaufhausbeschallung Geld verdienen, das Gleiche zu hören bekommen wie zigarettenverkaufende Straßenkinder in Südamerika: Sorry, aber wir geben euch kein Geld, sonst verliert ihr die Motivation, etwas Vernünftiges zu lernen!?

2.) Sollte man das Gleiche zu Siemensianern, Kolumnisten, Spiegel-Redakteuren, Friseuren und Etuikleidherstellern sagen oder würde das auf der falschen Seite in die richtige Richtung laufen?

3.) Meiden sie eher Geschäfte mit unfreundlichen oder meiden sie Geschäfte eher wegen zu freundlichen Angestellten? Falls ja, fühlen Sie sich wohl in ihrer Unternehmenskultur? Falls nein, worauf bezieht sich das Ja?