22.03.08

Melanie Knapp

Ostergeschichte

Ich sitze auf einer Bank und beobachte den bayerischen Himmel. Viel tut sich dabei nicht.
Denke ich, aber das Wichtigste bekomme ich wieder mal nicht mit. Denn gerade als mein Blick, gelangweilt vom eintönigen Himmel, auf den darunter liegenden Parkplatz wandert, fliegt oben ein Raumschiff vorbei. Ich aber konzentriere mich auf die Wanderer in ihren neuen strapazierfähigen Hosen und verfolge, wie unterschiedliche Diskussionen in unterschiedlichen Gruppen und über unterschiedliche Routen letztendlich wie gesetzmäßig zur Wahl des immergleichen Weges führen. Dieser Weg ist breit und bequem, deutlich markiert und führt direkt an mir vorbei.
»Du schau mal Horst. Ist das Akelei?«, ruft eine Frau und deutet auf mich. Offenbar bin ich schon wieder unsichtbar geworden.
Horst antwortet nicht, denn er steckt in einem Zwiespalt. Dieser Spalt hat zu tun mit einem Holzkasten, der sich einige Meter weiter am Wegrand befindet. Er sieht aus wie ein Hasenkäfig und polarisiert die Wanderer in geschlechtshomogene Gruppen.
Was, bitte, ist das für ein Kasten? Ein Tampon-Automat auf einem fränkischen Wanderweg? Damit Sie sich rundum sicher fühlen? Für die Sicherheit wird in Bayern allerhand getan – aber so?
Außerdem zeigt sich keine Gesetzmäßigkeit, ob nun Frauen oder Männer in unentschlossener Manier vor der Kiste verharren. Immer jedoch ziehen die Angehörigen des jeweils anderen Geschlechts Grimassen und daraufhin genervt weiter. Niemals herrscht Einigkeit.
Wenn ein Außerirdischer diese Szenen beobachten müsste, könnte er der Idee verfallen, Männer und Frauen seien zwei sich gegenseitig hemmende Teilsysteme eines Gesamtorganismus.
Das Prinzip der reziprok inhibitorischen Systeme ist ein Erfolgsmodell der Natur. Es beeindruckt meist dann, wenn eines der Systeme ausfällt und es zu einer drastischen Verhaltensänderung kommt. Im 90er-Jahre-Film »Thelma und Louise« fällt zum Beispiel das System Mann weg, und die vormals biedere Hausfrau wird zur attraktiven Ganovin. Leider wird sie dadurch auch zur Hauptdarstellerin eines ziemlich doofen Films. Ein weiteres Beispiel ist der Fall eines kriminellen und gewalttätigen Mannes, der nach einer Hirnblutung zum friedliebenden, arbeitswütigen Künstler wird, obwohl er vor seiner Erkrankung keinerlei künstlerische Begabung erkennen ließ.

Bei Männern und Frauen ist es immer so, dass sich der hemmende Einfluss der Männer auf die Frauen negativ, der Einfluss der Frauen auf die Männer jedoch positiv auswirkt. Das langweilt.
Wenn jemand einen zu kühn erscheinenden Gedanken oder ein unsicheres Vorhaben hat, heißt es. »Hör mal, wir sind hier im richtigen Leben, nicht beim Film.« Damit wird impliziert, dass es im Film aufregender hergehen darf als im Leben. Viele Filme machen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Sie stellen das Leben langweiliger dar als es eigentlich ist und merken das gar nicht.
Während ich nun nach einer Überleitung suche, wimmert die Frau vor dem Hasenstallähnlichen herum: »Hast du nicht ein Zwei-Euro-Stück?« quengelt sie in Richtung Mann, aber der muss plötzlich arg husten und eiterartige Substanzen verrammeln ihm die Ohren.
Ein Außerirdischer, der die Szene zufällig beobachtet, denkt sich: »Jeden Tag lese ich die Rubrik »Aktuelle Fleischpreise« im Lokalteil der Zeitung. Zwei Euro für einen Hasen, das ist zu wenig!«, und er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen.
So kommt es, dass, gerade als mein gelangweilter Blick wieder gen Himmel wandert, ein Raumschiff auf einem breiten, bequemen und gut markierten Wanderweg landet und sich ein Außerirdischer aus einem Holzkasten eine Tüte Äpfel saugt.
Der Außerirdische, der die Bibel aus der Voyager kennt, aber bisher wegen der vielen Sex- und Gewaltszenen nur heimlich gelesen hat, weiß sofort, was er vor sich hat. »Ich werde dich kosten, Teufelsfrucht«, zischelt er.
Im gleichen Moment wird er aufgrund eines kosmischen Irrtums von der Erde vertrieben.
Das wurmt ihn nicht weiter. Eine Zivilisation, die sich andauernd über Äpfel streitet, hat ihn eh nicht so sehr interessiert.