Am 02. August um 12:23 begegnete mir Lea Sommer in der Fußgängerzone. Sie tötete mich mit einem Blick und begann sofort mit dem Verhör: »Was haben Sie am Donnerstag, den 12. April zwischen 18 und 20 Uhr getan?«
Natürlich brachte ich kein Wort heraus.
Nicht so, als ich wieder zu Hause war. Überwältigt von Erinnerungen begann ich eine Kolumne mit den Worten: Ich weiß ganz genau, was ich am Donnerstag, den 12. April, auch »Gründonnerstag« genannt, getan habe. Wie alle rechtschaffenen Menschen pilgerte ich in ein Einkaufswunderland, um dem am Osterwochenende drohenden Hungertod mit einem Schnäppchen ein Schnippchen zu schlagen. Im Einkaufswunderland ermordete ich eine Frau. Sie trug einen unauffälligen grauen Lodenmantel, einen dunklen Rock und schwarze Stiefel.
Zwar wollte die Frau nur mein Bestes, doch hielt sie dafür dreißig hässlich eingefärbte Eier in den Farbtönen der Herbst-/Winterkollektion vom vorigen Jahr. Diesen Eiern ward kein glückliches Schicksal zu Teil. Nach kurzem kulinarischen Zwischenspiel verendeten sie am Ostermontag allesamt in meinem Papierkorb.
Ich unterbreche den blutrünstigen Handlungsstrang an dieser Stelle, weil ich ihn nicht mehr ertrage. Der Tod ist doch kein Stilmittel.
Was sagt denn da die deutsche Sprachkritik zu?
Nichts. In der deutschen Sprachkritik werden Sätze in Scheiben geschnitten und Wörter einzeln abgewogen.
Im Diskussionsforum der »Deutschen Sprachwelt« gerät das Wörtchen »Unkosten« ins Kreuzfeuer der Kritik, weil es die Vorsilbe »Un« weder als steigerndes Attribut (ähnlich »Unmengen«), noch als Ausdruck des Gegensatzes (ungern!) trägt, sondern als eine Art modisches Accessoire, das den Bürger in die Irre führt.
In diesem Sinne möchte ich mich auf den Begriff »Papierkorb« einschießen.
Dieses Greuelwort der deutschen Sprache erweckt den Eindruck, als handele es sich um ein Binsengeflecht mit ganz viel Papier drinnen, in dem Eier, unabhängig ihrer Hautfarbe, nichts zu suchen haben.
Erster Schuss daneben. Zweiter Versuch.
Dieses Blähwort der deutschen Sprache verschleiert völlig die Tatsache, dass in einem Papierkorb alles, nur kein Papier zu finden ist. Papier liegt im Altpapier. In dem mir am nächsten gelegenen Papierkorb leben: Softrahm-Puddingbecher, Schokomüsli, fettäugige Croissant-Tüte. Der Softrahm-Puddingbecher trägt Spuren einer ersten Wiederverwertung als Aschenbecher. Reihenweise Kippen stecken im Rahmrest fest und formen zusammen das Bild einer rotzfrechen Kurzhaarfrisur. Im Schokomüsli hingegen befindet sich eine tote Biene, die meine Mitbewohnerin auf ihrem Frühstückslöffel bis kurz vor ihren Mund führte. Sie entdeckte den Kadaver in dem Moment, in dem sie hineinbeißen wollte, schrie auf und vollführte einen wilden Schwänzeltanz, in dessen Verlauf das gesamte Müsli endentsorgt wurde. Als Entschuldigung bemühte meine Mitbewohnerin später eine Bienenallergie, die innerhalb von Sekunden zum anaphylaktischen Schock führen könne. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sich in einem Papierkorb ausschließlich Gegenstände befinden, die dort entweder in Panik oder mit großem Ekel und mit spitzen Fingern hinein befördert wurden. Für den sauberen, schönen Abfall gibt es die Wertstofftonnen oder die schönen, bunten Hexaeder am Bahnhof mit der Aufschrift »Aktion freundlicher Bahnhof«.
Die gibt es nicht wirklich in dieser Form, denn mein räumliches Vorstellungsvermögen ist zweidimensional und hexaederlos wie die meisten Bahnhöfe. Gemeint sind die ganz normalen, mehreckigen, Glaspapiermetallbioplastikgebilde, über die jeder gerne erzählt, dass »die« im Fernsehen gezeigt haben, dass »die« den ganzen Müll wieder zusammen kippen. Ich finde es reicht langsam mit diesen Berichten und wende mich lieber meinem eigenen Papierkorb zu, der besser »Panikeimer« oder »Greuelkübel« heißen sollte. An die Adresse der Sprachpfleger gerichtet nehme ich vorweg, dass dem deutschen Wort »Papier« von diesen Wortschöpfungen geauso wenig Gefahr droht wie dem Papier an sich von der papierlosen Kommunikation. Ich kenne viele langlebige deutsche Wörter, die ohne Papier nicht denkbar wären. »Sant Papièrs« z.B., oder »Papierkrieg«. Auch Papierdeutsch wird nicht aussterben, doch wo wir gerade beim Sterben sind...