04.03.12

Raymund Krauleidis

Mach doch da mal ne Kolumne draus

Es gibt Sätze, die man als Kolumnist ebenso gerne hört wie eine Spinne das Geräusch des sich nähernden Staubsaugers. Zugegeben, der Vergleich hinkt ein wenig – schließlich weiß das fünfbeinige Getier bis zu seinem tragischen Ende noch nichts von seinem Unglück.

»Mir ist da neulich etwas ganz lustiges passiert – da musst Du unbedingt eine Kolumne draus machen ...«, ist eine dieser Phrasen, bei denen man die Spinne für ihr sorgloses Dasein beneidet. Der der Schreibzunft angehörige Homo Sapiens weiß aus leidvoller Erfahrung nämlich leider genau, was dieser – auf den ersten Blick harmlos anmutenden – Gesprächseröffnung folgt ... Doch ehe man in der Lage ist, sich flugs unter das nächstgelegene Möbelstück zu verkriechen, legt das Gegenüber auch schon los.

»Also, da fahr ich doch neulich mit der Straßenbahn – der U9, um genau zu sein. Es war am Mittwoch. Oder am Montag? Jedenfalls an dem Tag, an dem ich mit Britta im Kino war. In diesem einen Film – der mit dem Schauspieler, der auch in diesem anderen Film mitgespielt hat. Mit dem traurigen Lied am Ende ...«

Um Sie nicht am Stück zu langweilen, habe ich für die folgenden Zeilen eine kleine Denksportaufgabe für Sie: Welchem Geschlecht gehört mein derzeitiges Gegenüber wohl an? Sie haben maximal drei Versuche.

»... Egal. Ich sitze also in der Straßenbahn und schau so auf meine Fingernägel. Die habe ich nämlich am Wochenende frisch lackiert. Mit meinem neuen Nagellack. Dem von Dior. Der ist gerade der letzte Schrei auf sämtlichen Modewochen. Mit Rosenblütenduft. Hier – riech mal ...«

»Lecker«, sage ich, während mein Gegenüber die Finger wieder aus meiner Nase zieht. Ob es wohl auch schon farbige Parfums gibt?

»... ich sitze also in der Straßenbahn und betrachte meine Fingernägel, als plötzlich ... Ach übrigens: Ich soll Dir von Bernd ausrichten, dass er morgen doch nicht kann. Da bekommen wir nämlich Besuch von seiner Tante aus Belgien. Die, die immer die Pralinen mitbringt – die leckeren, die Du so magst ...«

Ich überlege, ob mir spontan weitere Sätze einfallen, die fünfmal denselben Artikel enthalten. Jedoch wird meine Konzentration dabei auf eine harte Belastungsprobe gestellt.

»... wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Ich sitze also ...«

»In der Straßenbahn«, zische ich.

»Wie? Du kennst die Geschichte schon?«

Ich schüttle den Kopf und verfluche mich im selben Augenblick für meine Ehrlichkeit. Der Liebe Gott hätte es mir bestimmt ungestraft als »Notwehr« durchgehen lassen.

»... ich sitze also in der Straßenbahn und schaue so auf meine Fingernägel, als plötzlich eine Spinne im Mittelgang entlangspaziert. Und – jetzt komm’s – da sagt doch der eine, der mit gegenüber saß zu seinem Freund neben ihm ... Das waren so komisch sprechende Jugendliche. Die, die immer die Artikel weglassen ... Sagt der eine doch tatsächlich zum anderen: ‘Guck mal: Hier ist Speisewagen‘ !«

Mein Gegenüber schaut mich mit großen Augen erwartungsvoll an.

»Und?«, frage ich. »Wo ist der Witz?«

»Speisewagen... Wegen der Spinne ... Das ist doch der Brüller! Da musst Du unbedingt ne Kolumne draus machen. So wie die Letzte. Die mit den Briefmarken ... Das war echt die Beste, die Du bislang geschrieben hast!«

»Danke«, erwidere ich. »Die war aber von meinem Kollegen Magdi Aboul-Kheir. «

»Trotzdem ... Nur dieses eine Mal. Bitteeee!!!! Danach werde ich Dich auch für immer damit in Ruhe lassen.«

»Versprochen?«, frage ich ungläubig.

»Großes Indianerehrenwort ...«

Mein Teil der Abmachung wäre hiermit erfüllt. Und falls auch Sie unlustige Geschichten auf Lager haben, von denen Sie denken »Da müsste man doch glatt mal ne Kolumne draus machen«, klicken Sie bitte nicht hier ...