07.06.08

Raymund Krauleidis

Ich bin deutscher ... als Du!

Mein Nachbar fing damit an. Letzte Woche ...

Scheinbar über Nacht wuchs plötzlich eine Autoscheiben-Fahne in schwarz-rot-gold am Fenster seines Wagens. Auf der Beifahrerseite hinten um genau zu sein. Ich fühlte mich um exakt zwei Jahre zurückversetzt, als ein so genanntes »Sommermärchen« die stark kränkelnde Textilindustrie vor dem sicheren Tod bewahrte – jedoch damals noch ohne mein aktives Zutun.

»Schau mal!«, wies mich meine Frau beim Frühstück auf den zwischenzeitlich wieder ungewohnten Anblick in der Garageneinfahrt gegenüber hin. Es war jedoch kein normales »Schau mal!« sondern ein »Schau mal!« der Sorte »Das möchte ich dieses Mal auch haben, sonst lass ich mich endgültig scheiden!«

Um meine Ehe zu retten, legte ich auf dem Rückweg von der Arbeit also einen Zwischenstopp in einem dieser »EM-Reliquien die die Welt nicht braucht«-Geschäfte ein, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen.

Stolz präsentierte ich meiner Frau das soeben erworbene Autoscheiben-Fähnchen in schwarz-rot-gold und befestigte es umgehend am vorderen Fenster auf der Fahrerseite – schließlich wollte ich mich ja positiv von meinem Nachbarn abheben. Entzückt jauchzte meine Gattin ob des EM-tauglichen Anblicks unseres mittlerweile in die Jahre gekommenen Pkws und ich fühlte mich wie ein kleiner Held.

Umso tiefer saß der Schock, als ich am nächsten Morgen entdecken musste, dass den Wagen meines Nachbarn plötzlich ein zweites Fähnchen, diesmal ebenfalls auf der Fahrerseite, zierte. »Schau mal, der hat zwei!« bemerkte meine Frau mit messerscharfem Sachverstand und ich war mir sofort über den Ernst der Lage bewusst.

Mit vier Fähnchen – an jedem Fenster eins – kehrte ich an diesem Abend stolz nach Hause zurück. Zu ersten Mal seit fünf Jahren begrüßte mich meine Frau daraufhin mit einem Kuss und bekochte mich spontan mit meinem Lieblingsessen.

Nach einer wunderbaren Nacht – auf Details möchte ich an dieser Stelle nicht genau eingehen – marschierte ich am nächsten Morgen frohgelaunt ins Bad. Ich war gerade dabei, mich zu rasieren und malte mir das dumme Gesicht meines Nachbarn beim Anblick unseres Wagens aus, als mich ein schriller Schrei aus meinen angenehmen Tagträumen riss:
»Liiiiiebliiiiing! Schauuuu maaaaaaaaaal!!!!!!«

Mein Herz blieb für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Schnell rannte ich ins Esszimmer.

Der Trottel von nebenan hatte im Laufe der Nacht nicht nur schwarz-rot-goldene Kunstblumengirlanden um seine Außenspiegel gewickelt und einen Deutschland-Schal auf seine Heckablage gelegt – nein, er hatte auch noch eine riesengroße Fahne in sein Schiebedach eingeklemmt.

Damit hatte er mich! Aus Kostengründen hatten wir damals bewusst auf ein Schiebedach verzichtet und das vorhandene Geld lieber in eine Klimaanlage investiert.

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Dem Idioten ging es nicht im Geringsten um Fußball, er hatte es vielmehr nur auf meine Frau abgesehen! Aber nicht mit mir ...

Ich habe nämlich gerade mit meiner Karosseriewerkstatt telefoniert. Fahre dort noch eben kurz vorbei, um meinen Wagen umlackieren zu lassen: Die Front in schwarz, das Dach sowie die Türen in rot und das Heck in gold. Auf die Polster male ich noch riesengroße Adler und als Hupe lasse ich mir eine Fanfare mit der Melodie der deutschen Nationalhymne einbauen! Mal sehen, wer dümmer drein schaut: meine Frau oder mein Nachbar.

Ich habe zwar nicht die geringste Ahnung, was dieses ominöse »Abseits« sein soll, aber wenn hier einer Deutschland ist, dann verdammt noch mal ich! Und vielleicht sogar auch bald Europa ...