12.08.09

Raymund Krauleidis

Business as usual:
Schweinegrippe-Party

Das Sommerloch ist da.

Die Hälfte der Belegschaft döst derzeit faul in der Sonne, während die weitaus bemitleidenswerteren 50 Prozent – zu denen leider auch ich gehöre – dazu gezwungen sind, ihr Schlafbedürfnis in muffigen, unklimatisieren Büros zu stillen.

Deshalb verwundert es mich auch nicht großartig, dass ich heute bei meinem allmorgendlichen Fußmarsch vom Parkplatz in mein Büro durch menschenleere Gänge irre. Lediglich mein Lieblingsbuchhalter Schmoltke eilt – noch ein klein wenig unentspannter als sonst – auf dem Weg vom Druckerraum zurück an seinen Arbeitsplatz hektisch an mir vorbei.

»Guten Morgen«, grüße ich höflich, ehe mich ein kurzer Niesanfall übermannt.

Schmoltke schaut mich an, als wäre ich ein Alien. Zugegeben: Ich hatte mich heute Morgen nicht rasiert – aber so schlimm sehe ich mit Dreitagebart nun auch wieder nicht aus ... Dann dreht er sich plötzlich zur Seite weg und hechtet ungelenkt in sein Büro. Mit einem dumpfen »Rumms« fällt Sekundenbruchteile später die Tür ins Schloss. Merkwürdig, normalerweise lässt er sie doch immer offen ...

Nachdem mein Rechner eine Viertelstunde später endlich hochgefahren ist, entdecke ich des Rätsels Lösung in meinem Posteingang:

» Von: Uschi Blamayer (Leiterin Unternehmenskommunikation)
An: alle Mitarbeiter
Betreff: Verhaltensempfehlungen bei Schweinegrippe

Liebe Kolleg(en)Innen!

Um die Wahrscheinlichkeit einer Schweinegrippe-Epidemie in unserem Unternehmen zu minimieren, emp- bzw. befehlen wir Ihnen hiermit folgende Verhaltensmaßnahmen:

  • Vermeiden Sie überflüssige Meetings! Das meiste kann man auch per E-Mail, Telefon oder Videokonferenz klären. Am Besten verzichten Sie bis zur Fertigstellung eines Impfstoffs ganz auf soziale Kontakte (das gilt auch für wilde Knutschereien im Treppenhaus)
  • Sperren Sie die Viren aus! Halten Sie dazu Fenster und Türen allzeit gut verschlossen. Frischluft wird im Allgemeinen eh ziemlich überbewertet
  • Verwenden Sie – wenn es sich nicht vermeiden lässt – zum Händeschütteln und Schulterklopfen stets Einweghandschuhe. Diese können am Empfang für 5,99 Euro je Stück käuflich erworben werden. Wir bitten jedoch, das Geld vorab zu desinfizieren (Sagrotan erhalten Sie ebenfalls am Empfang – 100ml zu 9,50 Euro)
  • Entsorgen Sie gebrauchte Einweghandschuhe und/oder -taschentücher bitte in den Mülleimern der benachbarten Unternehmen oder im gegenüberliegenden Gasthaus »Zum Hirschen«. Achten Sie darauf, dass man Ihre Mitarbeiterausweise nicht sieht
  • Bringen Sie sich ausreichend Nahrungsmittelvorräte von zuhause mit. Die Kantine bleibt aus hygienischen Gründen bis auf weiteres geschlossen (unbestätigten Gerüchten zufolge hätte unser Koch letzte Woche zweimal geniest)
  • Tauschen Sie Ihre Pausenbrote niemals mit denen Ihrer Kollegen! Selbst wenn Ihr(e) Partner(in) immer noch nicht kapiert haben sollte, dass Ihnen Schweine-Leberwurst mittlerweile zum Hals raus hängt
  • Husten und Niesen ist im kompletten Gebäude ab sofort ebenso verboten wie das Händewaschen auf den Toiletten. Armaturen sind schließlich der ideale Tummelplatz für Viren jeglicher Art
  • Sollten sich bei Ihnen dennoch Grippesymptome bemerkbar machen (z.B: Fieber >38°, Hals- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit, Schnupfen, wiederholtes Niesen usw.), haben wir für Sie von Experten des Instituts für Medizinische Virologie und Epidemiologie der Universität Tübingen separate Quarantänebüros einrichten lassen. Diese befinden sich im Keller, direkt neben der Poststelle.

Wer wird schließlich wegen ein bisschen Schnupfen gleich zuhause bleiben ...

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!
Einen virenfreien Arbeitstag wünscht

Uschi Blamayer
- Leiterin Unternehmenskommunikation -

P.S.: Arbeitsunlust zählt übrigens nicht zu den klassischen Symptomen der Schweinegrippe! Sie ist vielmehr völlig normal und unbedenklich – vor allem im Sommer ... «

Ich schüttle fassungslos den Kopf und klicke auf »Antworten«:

» Von: mir
An: Uschi Blamayer (Leiterin Unternehmenskommunikation)
CC: alle Mitarbeiter
Betreff: AW: Verhaltensempfehlungen bei Schweinegrippe

> Wer wird schließlich wegen ein bisschen Schnupfen gleich zuhause bleiben ...

ICH! «

Zeitgleich mit dem Drücken des »Senden«-Buttons klingelt auch schon mein Telefon. Was für ein Stress am frühen Morgen!
»Werden wir jetzt alle sterben?«, erkundigt sich ein hörbar verunsicherter Buchhalter – Schmoltke, sein Name – fernmündlich über meine subjektive Einschätzung zum Ernst der aktuellen Gesundheitslage.
»Nein«, versuche ich ihn zu beruhigen, »wir haben Sommerloch – die Medien brauchen lediglich etwas, über das sie berichten können.«

Ich erkläre ihm, dass eine handelsübliche Influenza weitaus schlimmer wäre als das momentan grassierende Virus und dass das ganze Theater derzeit doch ziemlich übertrieben sei. »Spätestens zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs interessiert die Grippe garantiert kein Schwein mehr«, schließe ich meine Erläuterungen ab, »und sterben wird von uns so schnell niemand!«
Schmoltke seufzt.

»So ein Mist ...«, erwidert er nach einer kurzen Pause konsterniert, »das heißt dann wohl, dass ich den Monatsabschluss tatsächlich noch fertig machen muss, oder?! Bin doch gerade so arbeitsunlust...«
»Hatschi!«, unterbreche ich den Buchhalter ungewollt.
»Gesundheit!«
»Danke! Ja, das heißt es. Es sei denn Sie werden ... Ha... Ha... Hatschi ... krank und gehen dann ebenso nach Hause wie ich nach diesem Telefonat.«
Ich schnäuze und fühle mich auf einmal unendlich schlapp.

»Darf ich Sie noch etwas fragen?«, fragt Schmoltke.
»Weil Sie es sind ...«
»Würden Sie vielleicht Ihr Pausenbrot mit mir tauschen?«

Gott sei Dank! Ich dachte schon, er will mit mir ins Treppenhaus ...

  1. Ich und der Vorstand
  2. Jobrotation
  3. Schmoltke in der Krise
  4. Das Weihnachtswunder
  5. Schweinegrippe-Party
  6. Doktorspielchen
  7. Falsch verbunden | Misconnected
  8. Jahresrückblick 2009

Wo sind die vielen anderen Kolumnen der wahnsinnigen Büroreihe »Business as usual« von Raymund Krauleidis hin?
Die können Sie seit Ende 2009 als Büroroman »Schmoltke & Ich« lesen!