27.02.08

Raymund Krauleidis

Meine Mutter, Junkfood und ich

Es gibt zwei Dinge, die Mütter erwachsener Söhne niemals wirklich verstehen werden. Das eine ist die Tatsache, dass ihr Filius auch dann überlebensfähig ist, wenn er sich gerade mal nicht in einer häuslichen Lebensgemeinschaft mit einer Vertreterin des weiblichen Geschlechts befindet. »Hast Du denn heute was gegessen?« höre ich meine Mutter am Telefon fragen. »Nein, ich ernähre mich seit Wochen eigentlich ausschließlich von Drogen und Alkohol«, antworte ich flapsig.

Und damit wären wir auch schon bei Punkt Nummer zwei auf der Liste von Dingen, die Mütter nicht verstehen: Ironie. Ich sehe vor meinem geistigen Auge bereits einen sorgsam zusammengestellten Trupp aus Suchtberatern und Therapeuten vor meiner Türe stehen. Vorneweg meine Mutter, die mir – noch während ich dabei bin, die Wohnungstür zu öffnen – weinend in die Arme fällt und mir verzweifelt »Ich hol Dich da raus, mein Liebling« ins Ohr schluchzt.

»Hallo? Das war ein Spaß! Klar hab ich was gegessen«, kläre ich die Situation umgehend auf. »Soso«, entgegnet sie, wobei ich den dumpfen Verdacht nicht loswerde, dass der Hauch eines Zweifels ob meiner eben getätigten Aussage nicht von ihr weichen will. Ein »Soso« aus dem Mund meiner Mutter bedeutet nämlich in der Regel so viel wie: »Ich glaub' Dir kein Wort!«

»Was hast Du denn gegessen?«

Irgendwie ein erniedrigendes Gefühl: Ich bin Mitte dreißig und sehe mich dennoch dazu gezwungen, meiner Mutter Rede und Antwort bezüglich intimer Details meines aktuellen Nahrungsaufnahmeverhaltens stehen zu müssen. Umgehend fühle ich mich mehrere Jahrzehnte zurückversetzt und höre sie im Geiste in strengem Tonfall zu mir sagen: »Und iss nicht wieder so viele Süßigkeiten – es gibt gleich Mittag!«

»Tiefkühlpizza«, antworte ich wahrheitsgemäß.

Nun ist es mit der Wahrheit so eine Sache. Einerseits halte ich von Lügen nicht allzu viel. Andererseits kann zur Minimierung des aus dem Gesagten entstehenden Schadens ein zielführendes Wahrheitstuning zuweilen hilfreich sein. Doch dafür ist es jetzt leider zu spät ...

»Pfui! Dieses Zeug ist doch kein Essen!«, werde ich umgehend aufgeklärt, wobei sie das Wort »Zeug« mit ähnlicher Verachtung herauspresst wie ein Kardinal, der von Empfängnisverhütung spricht. »Jetzt wo Du es sagst«, entgegne ich mittlerweile hörbar genervt. »Und ich hatte mich noch gewundert, wieso sie Tiefkühlpizza im Supermarkt plötzlich in der Spielzeugabteilung verkaufen und nicht mehr im Bereich für die Lebensmittel, wo ich es eigentlich erwartet hätte!«

»Warum wirst Du plötzlich so aggressiv? Ich meine es doch nur gut. Mit Dir kann man sich gar nicht mehr normal unterhalten!«, zischt sie beleidigt.

Stimmt. Das kommt sicherlich davon, dass ich unter extremer Junkfood-Vergiftung und einer damit einhergehenden Unterversorgung meines Gehirns mit Sauerstoff leide. Vielleicht hat es aber auch nur damit zu tun, dass ich mir nach einem harten Arbeitstag durchaus Angenehmeres vorstellen könnte, als mich von meiner Mutter aufgrund meines Essverhaltens wie ein fünfjähriges, vermeintlich hilfloses Kind behandeln zu lassen – wer weiß ...

Plötzlich wechselt sie mehr oder weniger ungeschickt das Thema. »Was machen eigentlich die Frauen? Hast Du jemanden kennen gelernt?«. Die Neugier in ihrer Stimme kriecht förmlich durch die Telefonleitung, materialisiert sich und füllt binnen Bruchteilen von Sekunden das komplette Zimmer aus, in dem ich mich befinde.

»Ach ja, stimmt!«, nuschle ich und vergesse in meiner Resignation doch tatsächlich erneut Punkt zwei der Liste von Dingen, die Mütter nicht verstehen: »Sie ist Anfang zwanzig, hat drei Kinder von vier verschiedenen Männern und ist momentan nur auf Bewährung auf freiem Fuß. Ich glaube, wegen räuberischer Erpressung oder so ähnlich.«

»Jetzt mach's doch nicht unnötig spannend ...«, hakt meine Mutter nach einer kurzen Pause mit freudig erregter Stimme nach.

»Kann sie kochen?«