04.07.06

Michael Meyn

Wenn Merkur im rechten Winkel zur fucking Wasserleitung steht

Mein guter Freund und Arbeitskollege, Mike, erzählt mir immer wieder etwas von Mercury Retrograde. Ich weiß nicht genau, wie man das übersetzt oder was es überhaupt sein soll. Es hat wohl irgendwas mit der Position von Merkur zu tun, in Relation zu was weiß ich. Auf die Welt und ihre Bewohner bezogen soll dies so etwas wie Freitag der 13. sein, nur länger. Und schlimmer. Angeblich sind wir gerade wieder mittendrin im Mercury Retrograde, sagt Mike. Und nun wird alles, was auch nur entfernt mit Technologie, Transport und Kommunikation zu tun hat, in einen chaotischen Zustand versetzt.

Zwar glaube ich schon, dass an der Astrologie etwas dran ist, aber ich weiß auch, dass mir die Bibel sagt, nicht in die Sterne zu schauen. Vielleicht deshalb, weil mir die Sterne eines Tages mal sagen könnten, nicht in die Bibel zu schauen. Eine derartige Auslegung der Himmelskörper würde mich dann eher verwirren, darum lasse ich es lieber. Als Skorpion steigere ich mich in solche Sachen sowieso viel zu sehr rein.

Vor einigen Tagen hatten mein Rippchen und ich spontan ein Fondue geplant. Neben Käse in Sprühdosen und Online-Banking ist Fondue eine der besten Erfindungen überhaupt. Man kann sich über Stunden den Bauch vollschlagen, ohne jemals satt zu werden. Dabei erzählt man sich lustige Geschichten, schaut sich den History oder Discovery Channel im Fernsehen an, oder dippt einfach nur etwas Brot in die Knoblauchbutter, bis der nächste Leckerbissen im Topf zum Verzehr bereit ist. Ab und und an gibt's auch Streit, wenn man sich frecherweise an fremden Spießen vergreift.

Jedenfalls war Mike von der Fondue-Idee ebenso angetan wie wir. Er bestand darauf, meinem Rippchen beim Einkauf zu helfen, was sich in seiner schwulen Ader begründete. Mir sollte es recht sein, denn als die zwei fanatischen Shopper gemeinsam loszogen, wusste ich, dass mir viel Zeit am Computer zur Verfügung stehen würde. In solchen Momenten logge ich mich dann bei kolumnen.de ein und sehe nach, was es neues zu lesen gibt.

Als sich die Air-Condition automatisch einschaltete (ist es bei euch in Deutschland auch so warm?), hörte ich neben dem üblichen Brummen ein ungewohntes Zischen. Na toll, dachte ich mir, jetzt gibt sie auch noch ihren Geist auf. Bis sich bei unserer Hausverwaltung mal jemand rührt, hat man die meisten Probleme schon selbst gelöst. Aber mit Klimaanlagen kenne ich mich nicht aus.

Das Zischen wurde bald lauter, und irgendwann kam mir der Gedanke, dass es mit der Klimaanlage vielleicht nichts zu tun haben könnte, weshalb ich dem Geräusch nachging. Es kam aus dem Badezimmer. Zuerst vermutete ich, dass die Dusche lief, aber dort tummelten sich fröhlich ein paar Kakerlaken im Trockenen. Ich betrachtete den kleinen Schrank unter dem Waschbecken und bemerkte, wie sich vor ihm auf dem Boden eine Wasserlache bildete. Oops! Da war wohl etwas undicht. Ich öffnete den Schrank und, oops again, der Alptraum begann.

Die undichte Stelle in der Wasserleitung machte sich durch einen dünnen, aber sehr starken Strahl bemerkbar. Als ergebnisorientierter Mensch drehte ich selbstverständlich sofort am entsprechenden Haupthahn, jedoch wollte der sich nicht drehen lassen. Geduld und Hartnäckigkeit gehören nicht zu meinen Tugenden. Normalerweise lasse ich in solchen Situationen alles stehen und liegen und hoffe darauf, dass mein Rippchen die Sache zum Guten wenden kann. Aufgrund ihrer Abwesenheit und einer dramatisch größer werdenden Pfütze sah ich mich jedoch gezwungen, an jenem Tag nicht sofort das Handtuch zu werfen.

– Handtuch werfen! Das könnte helfen, dachte ich. Ich nahm das Gästehandtuch (wir selbst haben keine) vom Haken und warf es zu Boden. Schnell sog es sich mit Wasser voll, und schnell wurde es vom Wasser ignoriert, welches langsam (eigentlich gar nicht so langsam) in Richtung Flur strömte. »Fuck!« fluchte ich. (Ich fluche immer auf Englisch. Fuck passt grundsätzlich zu jeder Gelegenheit und geht leicht über die Lippen. Crap ist auch nicht schlecht, und wenn man es angewidert ausstößt, gibt es dem eigentlichen Fluch noch eine gewisse asoziale Note, die man mit dem gewöhnlichen shit niemals hinbekommen würde. Fucking crap ist demzufolge so ziemlich die Krönung.)

Wie ein Besessener drehte ich am Hahn. Er rührte sich nicht. Ich schnappte mir das pitschnasse Handtuch und erhoffte mir damit etwas mehr Griffigkeit. Nix. Der verdammte Hahn bewegte sich nicht. »Crap!« Ich ruckelte und zerrte, bis das undichte Rohr in der Mitte durchbrach. Nun kam das Wasser gallonenweise. Wäre der Schrank nicht im Weg gewesen, hätte man sich prima auf den Strahl setzen können. »Fucking crap!«

»Ok, ich muss die God damn Hausverwaltung anrufen, damit sie sofort einen fucking Wasserabschaltungsexperten schickt. Fucking sofort!« Ich glaube, ich wurde richtig panisch. Wie bescheuert irrte ich durch die Wohnung, auf der Suche nach der Telefonnummer der Hausverwaltung. Ich fand sie nicht und bessere Flüche taten Not: »MOTHER OF ASS!!!«

Mir blieb nichts anderes übrig, als den Weg zur Hausverwaltung anzutreten. Ich schaute noch einmal wehleidig auf die Wohnung zurück und machte mich auf die nassen Socken. Ich humpelte so schnell ich konnte. Meine crappy Kniekappen sind noch immer nicht verheilt, weshalb rennen völlig unmöglich war. Ich sah wohl eher wie ein gefoulter Fussballspieler aus, wie ich mich da der Verwaltung näherte.

»Press the secret button under your desk!« schrie ich die Managerin an. »It's a fucking emergency! The whole place will be flooded if you don't act now! Remember New fucking Orleans?«

»Someone will be over shortly«, lautete ihre gelangweilte Antwort, als hätte ich soeben Pizza bei ihr bestellt. Also, wenn es ein wahres Gerücht über schwarze Frauen gibt, dann ist es, dass sie eine Engelsgeduld haben. Selbst wenn ihre eigenen Wohnungen unter Wasser stünden. So schnell bringt sie nichts aus der Ruhe. Es sei denn, ihnen wird der Mann ausgespannt, au weia, dann werden sie zu Furien.

»Ok!« schrie ich noch immer, aber diesmal kurz angebunden, weil mir gerade auffiel, dass ich in durchnässter Schlafanzughose vor ihr stand. »I'll be waiting«. Ich machte auf der Stelle kehrt und humpelte heimwärts.

Auf dem Rückweg fielen mir die armen Nachbarn ein, die unter uns wohnen. Diese waren inzwischen ausser sich vor Wut und hämmerten gegen meine Haustür, auf Spanisch fluchend, weil Mexikaner. Als sie mich am Treppenabsatz erspähten, wurden sie ruhiger und einer von ihnen nickte mir zu. »What's up, dude? Better turn off your water in there. It's starting to fuck up our place!«

»I wish I could. A water pipe broke.«
»That's fucked up.«
»I know.«
»Watcha gonna do about it?«
»Someone will be over shortly.«
»That's cool, dude. What's he gonna do?«
»Turn off the water, I hope.«
»Awesome!«

Wenn nüchterne Mexikaner wie bekiffte Amis sprechen, weiß man, dass man in der falschen Gegend wohnt. Hier findet kein Fortschritt statt.

Gemeinsam warteten wir auf den Wassaerabschaltungsexperten. Und da kam er dann auch endlich um die Ecke geschlichen. Ehrlich, er legte ein Tempo vor, wie Michael Myers auf Verfolgungsjagd in Halloween, oder wie jemand auf dem Weg zum Zahnarzt. Also, wenn es ein wahres Gerücht über schwarze Männer gibt..

Ich traute mich gar nicht so richtig, meine Wohnung zu betreten und den Schaden zu betrachten. Der schwarze Mann bestand aber darauf, weil er wissen wollte, woher das Wasser kam. Richtig baff war ich, als ich sah, dass sich das Wasser kaum aus dem Badezimmer verbreitet hatte. Der Teppich vor der Tür war gut durchnässt, doch der Rest der Wohnung war trocken. Die Mexikaner hatten weniger Glück. Ihre Wohnung stand komplett unter Wasser.

»Mercury Retrograde. It's a bitch!« philosophierte Mike später beim Fondue. Im Hintergrund dröhnte ein Gebläse, welches den Teppichboden von unten trocknete. Besserwissend erhob ich den Einwand, dass ein Rohrbruch wohl kaum mit Mercury Retrograde in Verbindung gebracht werden könnte, da er schliesslich nichts mit Technologie, Transport oder Kommunikation zu tun hat.

»Sure it does! Transportation, my friend. The transportation of water!«

Mein Rippchen haute ihm auf die Finger, weil er einen ihrer Spieße klauen wollte. Dann schauten wir uns gemeinsam den Discovery Channel an.

Diese Kolumne finden Sie auch in Michael Meyns 2007 erschienenem Buch »Vegas, Schnuckie!«.

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