05.12.09

Michael Meyn

Besuch aus Germanyland – Die Luft ist raus

Die Krafziks hatten sich am Tag ihrer Ankunft bei mir beliebt gemacht, indem sie mir nach dem Kofferauspacken vier beeindruckende Stücke Gouda überreichten. Ich verzichtete also auf mein trotziges Getue und lockerte den Klammergriff an unserem Ehebett. Nichtsdestotrotz ließen die ersten Komplikationen nicht lange auf sich warten. Ich hatte es ja von Anfang an geahnt. Die blöde Luftmatratze zickte bereits in der ersten Nacht. Ich wachte auf, weil sich mein Beckenknochen in den harten Boden bohrte. Die Luft war raus. Irgendwo musste es eine undichte Stelle geben. Dabei hatte sich mein Rippchen beim Aufblasen so viel Mühe gegeben. Eine gute Stunde hatte sie an dem Gummistöpsel gehangen, bis die riesige Matratze schön prall und bequem aussah. Danach war sie sofort eingeschlafen.

Nun lagen wir beide hellwach auf dem Teppich, der laut unseren Gästen »so schön flauschig« war und spürten jeden einzelnen Knochen in unseren Körpern.

»Das war wohl nix«, fasste ich zusammen. »Wenn wir das nächste Mal Besuch bekommen, würde ich gerne in einem Hotel schlafen.«

»Red' nicht immer so'n dummes Zeug!« Mein Rippchen dachte, ich würde scherzen.

»Wieso? Wenn wir jede Woche 30 Dollar an die Seite legen, können wir uns ein hübsches Zimmer im Bellagio leisten.«

Sie ignorierte meine grandiose Idee und fragte stattdessen entmutigt:

»Und was machen wir jetzt?«

»Tja, Sie werden wohl wieder blasen müssen, Frau Meyn.«

»Beim besten Willen nicht! Mir tut der Nacken weh.«

»Die Ausrede hast du immer!«

»Ist aber so. Außerdem habe ich keine Puste mehr. Blas du doch!«

»Geht nicht. Mir wird sofort schwindelig.«

Bis zum Sonnenaufgang lagen wir auf der platten Luftmatratze und erfanden immer neue Entschuldigungen, warum wir den Stöpsel nicht in den Mund nehmen wollten. Meine vorgetäuschte Gummiallergie übertrumpfte alles. Deprimiert wollte mein Rippchen Trost in der Bibel suchen, doch beim Griff ins Bücherregal überkam sie aus heiterem Himmel ein Schwächeanfall, der sie im Stand – den Kopf auf der mittleren Holzplatte ruhend – einnicken ließ. Was für ein friedvolles Bild, dachte ich und schloss die Augen.

Am Frühstückstisch blickte ich in fröhliche, ja, ausgeschlafene Gesichter. Die ganze Wohnung roch geradezu nach prima Stimmung.

»Gut geschlafen?«, fragte ich desinteressiert.

»Ganz hervorragend.« Die Krafziks nickten munter. »Und ihr?«

»Ganz beschissen!« Damit war die Unterhaltung für mich beendet. Wie ein Blinder ertastete ich das Frühstück, weil ich mit meinem steifen Nacken nicht nach unten schauen konnte. Mein Rippchen gab mir ein paar Schmerztabletten. Auch sie sah leicht lädiert aus; ihr Kopf klebte verkrampft auf der rechten Schulter, und als sie aus der Küche in die Essecke trat, sah es aus als zöge sie nicht nur ein, sondern gleich beide Beine hinter sich her.

»Es bleibt doch dabei, oder?«, fragte Jürgen mit vollem Mund. »Wir fahren zum Grand Canyon?«

»Ja, sicher.« Ich schüttelte den Kopf. Nicken klappte nicht.

Frau Tülle konnte ihre Vorfreude nicht verbergen und rief laut: »Sauber!« Dann fuhr sie fort, den kleinen Inder mit Rührei und belegtem Toast zu füttern.

Vier Wochen Besuch aus Germanyland. The fun had begun!

Lesen Sie die gesamte Reihe »Besuch aus Germanyland / Briefe vom kleinen Inder« von Michael Meyn und Elke Schröder:

  1. Michael Meyn: Die Ankunft
  2. Michael Meyn: Die Luft ist raus
  3. Michael Meyn: Klasse Wetter
  4. Michael Meyn: Grand Canyon
  5. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (1)
  6. Michael Meyn: Friss oder stirb!
  7. Michael Meyn: Explosionsgefahr beim Doppelkopf
  8. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (2)
  9. Michael Meyn: In der Stille der Nacht
  10. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (3)
  11. Michael Meyn: Da waren's nur noch zwei
  12. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (4)