06.08.11

Michael Meyn

Geklaute Lache

Gestern Abend fiel es mir zum ersten Mal auf. Wir saßen auf der Couch und sahen uns »America's Funniest Homevideos« an. Wir lieben diese Sendung. Es gibt nichts Witzigeres als einer Omi zuzusehen, wie sie tief Luft holt, um die achtzig Kerzen auf ihrer Geburtstagstorte auszupusten und zum Entsetzen aller Anwesenden ihr Gebiss im hohen Bogen in den Früchtepunsch ihrer Ur-Enkelin spuckt. Bei solchen Szenen musste ich schon oft meine Käsehäppchen kurz abstellen und vor Freude auf die Schenkel meines Rippchens schlagen.

Zunächst glaubte ich, ein Echo zu hören. Unsere Wohnung ist doch eher spärlich eingerichtet; da könnte es eventuell zu einem unerwarteten Widerhall kommen. Doch dann, während eines Clips, in dem ein alkoholisierter Bräutigam auf dem Tanzboden das Übergewicht seiner Braut unterschätzt und die Gäste mit einem kompliziertem Schulterwurf beeindrucken will, sich letztendlich aber zwischen Braut und Parkett schachmatt setzt, lachte ich laut »HAHAHAHOHIHAHAAAAH!« Und da war es wieder, leicht verzögert, jedoch deutlich zu hören:

»HAHAHAHOHIHAHAAAAH!«

»Wait a minute!«, dachte ich und schaute hinüber zu meinem Rippchen. Das war überhaupt kein Echo. Die Frau äffte mich nach!

»Hey, du!«

»Wer, ich?«

»Ja, du! Suchst du Streit?«

»Im Moment nicht. Vielleicht nach der Show, ok?«

»Abgemacht. Dann lasse es jetzt auch bitte bleiben.«

»Was denn? Ich mache doch gar nichts.«

»Ich sag's ja auch nur so.«

Nächste Szene: Kleiner Junge sitzt auf dem Schoß vom Nikolaus. Nikolaus fragt: »Well, have you been a good boy this year?« Kleiner Junge antwortet: »Man, you got bad breath!« Ich verschluckte mich fast an meinem Käse vor Lachen.

»HAHAHAHOHIHAHAAAAH!«

»HAHAHAHOHIHAHAAAAH!«, kam es in identischer Tonlage zurück. Da, der Schenkelklopfer. Genau wie meiner! Für jemanden, der gerade keine Lust auf Streitereien hatte, verhielt sich mein Rippchen doch sehr angriffslustig. Dies ließ ich sie auch wissen. Zunächst mit einer Frage: »Warum machst du das, Schnuckie?«

»Warum mache ich was?«

Dann mit einer Feststellung: »Du verdirbst mir meinen Fernsehabend.«

»Sag mal, bekommt dir der Käse nicht? Was ist denn los mit dir?«

»Auch ich habe ein Recht auf Entspannung!«

»Sie soll dir gegönnt sein.«

»Und warum machst du dich dann über mich lustig?«

»Was? Ich sitze hier nur und lache.«

»Eben! Du machst mich nach. Du lachst wie ich.«

Für einen Sekundenbruchteil blickte mein Rippchen seltsam verstört drein. Dann fing sie sich wieder und konterte mit einem Gegenfragen-Statement: »Ich lache wie du? Du hast einen Schaden.« Sie wickelte sich aus ihrer mexikanischen Wolldecke, stand auf und ging in die Küche. »Ich schäle dir jetzt einen Apfel. Anscheinend bist du etwas unterzuckert.«

»Mag sein. Aber warum lachst du wie ich?« Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Mund halten! Schau nach vorn. Lustige Sachen im Fernsehen.«

Sie kehrte mit Apfel, Teller und Messer zurück, just in dem Moment, als ein jugendlicher Ringer von seinem Gegner brutal in den Schwitzkasten genommen wurde. Binnen Sekunden lief sein Gesicht rot an; dann weiß; dann alarmierend blau und ich wartete etwas besorgt darauf, dass er nun per Schlag auf die Matte seine Kapitulation signalisieren würde. Wer will schon Kinder sterben sehen? Endlich erhob sich sein rechter Arm. Doch anstatt sich durch Aufgabe zu erniedrigen, winkte er plötzlich fröhlich in die Kamera und gurgelte: »Hi Mama!« Highlight!

»HAHAHAHOHIHAHAAAAH!«, grölte mein Rippchen, noch ehe ich zum Lachen ansetzen konnte.

»Unfassbar!«

»Hä?«

»Lenk nicht vom Thema ab«, sprang ich ihr vorwurfsvoll ins Gesicht. »Du hast meine Lache geklaut!«

»Schön vorsichtig, Freundchen!«, zischte mein Rippchen gereizt und fuchtelte mit dem Messer gefährlich nahe vor meiner Nase herum. »Treibe es nicht auf die Spitze!«

»Bist du wahnsinnig? Ich bin Bluter!«

»Bist du nicht, du Spinner! Aber wenn ich mit dir fertig bin, wirst du ganz andere Probleme haben.«

»Gib's zu! Du hast meine Lache geklaut.«

»Ok, ok, ich gebe es zu!« Mein Rippchen brach in Tränen aus.

»Du Dieb! Was fällt dir ein?«, wollte ich erst nachtreten, doch das kleine Häufchen Elend ließ mich umdenken.

»Was ist los, Schnuckie?«

»Ach, mir wurde es schon letztens in Deutschland gesagt: ›Du lachst ja wie der Meyn!‹ Da hat es mir fast den Magen umgedreht.«

»Warum?«

»Weißt du eigentlich, wie sehr du grunzt, wenn du lachst? Außerdem kannst du kaum fünf Sekunden lachen, ohne sofort in einen Raucherhusten überzugehen. Es ist weiß Gott kein Kompliment, mit dir verglichen zu werden!«

Schluchzend vergrub sie sich in meinem Schoß. Mein Rippchen war am Boden zerstört. Immer wenn Mann glaubt, er habe in einer Auseinandersetzung die Oberhand, aktiviert Frau ihre Tränendrüsen. Der Siegestriumph verfliegt augenblicklich und Mitleid macht sich breit. Am Ende ist Mann stets der Verlierer.

Da musste ich jetzt durch. Tröstend legte ich einen Arm um mich selbst und den Anderen um mein Rippchen. Zu ihren positiven Eigenschaften gehört, dass sie sich schnell beruhigen kann. Schon nach wenigen Minuten resümierte sie:

»Dann lache ich halt wie du. Damit kann ich leben. Schließlich kann ich ja auch mit dir leben, was bei aller Liebe kein Zuckerschlecken ist.«

»Richtig, Schnuckie.«

Im Fernsehen wurde uns präsentiert, wie sich ein verantwortungsbewusster Familienvater bei Dachreparaturen im strömenden Regen ungeschickt mit dem Hammer auf den Daumen schlägt, das Gleichgewicht verliert, langsam, jedoch unaufhaltsam das Dach herunter rutscht, hoffnungsvoll die letzte Rettung in der Dachrinne sieht, diese aber seinem Gewicht nicht standhalten kann und ihn somit der Erdanziehungskraft freigeben muss, worauf der arme Trottel nach gut sechs Metern freiem Fall (abgesehen von einem kurzen Rendezvous zwischen Stirn und Fensterbank) in einem Rosenbusch landet, aus dem er dann sowohl etwas benommen, als auch mit fiesen Dornen in Gesicht und Augen auf die Straße torkelt und dort von einem UPS-Fahrzeug erfasst und aus dem Bild geschleift wird. Für mein Rippchen war es die geilste Szene aller Zeiten.

»HAHAHAHOHIHAHAAAAH!«

Für mich eigentlich auch, nur konnte ich nicht mehr lachen. Ich war ganz still und sah neidisch und mit versteinerter Miene meinem Rippchen zu, wie sie sich mit ihrer geklauten Lache, inklusive Schenkelklopfer und Raucherhusten, köstlich amüsierte. Ich war zu Tim Thaler mutiert ...

Diese Kolumne finden Sie auch in Michael Meyns 2007 erschienenem Buch »Vegas, Schnuckie!«.

Seit Mitte 2011 ist »Vegas, Schnuckie!« endlich auch zum Beispiel bei buecher.de als Ebook erhältlich!