Ich bin kein großer Freund von Instant Messengern. Dieses blöde Getippe geht mir ziemlich auf die Nerven. Allein auf eine Antwort warten zu müssen, ist für mich eine echte Qual. Meine Gesprächspartner sind oft ebenso ungeduldig wie ich, weshalb sie, während ich noch an meiner Antwort feile, ein zweites Thema ansprechen, oft auch ein Drittes. Dann muss ich mich besonders konzentrieren, doch spätestens nach zehn Minuten weiß ich nicht mehr, worum es geht. Telefonieren ist tausendmal besser, liegt mir aber auch nicht sehr.
Nun ist es so, dass wir ein cable modem haben, eine superschnelle Internetverbindung über unser Kabelfernsehen. Das ist schon eine feine Sache, weil wir immer online sind und uns nicht erst ins Netz einloggen müssen. Ein- bis zweimal am Tag starte ich den Computer neu, wodurch der Instant Messenger, der mal irgendwann von meinem Rippchen installiert worden war, automatisch aktiviert wird. Das könnte man ändern, wenn man nur ein wenig Ahnung hätte. Ich habe selten eine Ahnung, darum muss ich den Messenger immer nachträglich ausschalten. Manchmal vergesse ich das aber, und gestern hat sich darum folgendes ereignet:
Ich saß vor meinem frisch gestarteten Computer und verfasste eine mit höchsten Komplimenten bestückte Kurzkritik an meinen Lieblingsautor von kolumnen.de: Michael Meyn. Davon schicke ich täglich mindestens ein Dutzend ab, da sie auch gleichzeitig an den Betreiber der Website gehen. Der Mann soll ruhig wissen, wie beliebt ich bin. Gerade hatte ich den Schlusssatz fertig getippt (»Ich knie im Geiste und in voller Ehrfurcht vor dem Antlitz des Meisters der unterschwelligen Satire und küsse Eure betörend duftenden Füße!«), da sprang das Fenster des Instant Messengers auf den Bildschirm und nahm mir die Sicht.
Geiles Pärchen: Hallo!
Die sagten mir jetzt auf Anhieb nichts. Und so schrieb ich zurück:
Vegasrippchen: Hi. Kennen wir uns?
Geiles Pärchen: Nein. Wie geht's?
Vegasrippchen: Gut. Und selbst?
Geiles Pärchen: Prächtig. Bist du ein Pärchen?
Solch eine Frage hatte man mir bis dahin noch nie gestellt. Auf eine konkrete Antwort war ich somit nicht vorbereitet.
Vegasrippchen: Ich nicht. Aber wir schon. Worum geht es hier?
Und da war sie wieder, die lange Pause. Ich wollte schon ein zweites Thema anschneiden, als endlich eine Antwort kam:
Geiles Pärchen: Habt ihr Lust auf ein wenig Spaß vor der Kamera?
Vegasrippchen: Spaß vor der Kamera?
Was wollten die von mir?
Geiles Pärchen: Ja. Ihr habt doch sicher eine Webcam, oder?
Vegasrippchen: Haben wir.
Die Webcam stand leicht verstaubt auf dem Schreibtisch. Ich benutze sie eigentlich nur, um meiner Mutter in Germanyland zu zeigen, wie groß und grau ich schon geworden bin. Aber richtig Spaß vor der Kamera hatte ich noch nie gehabt. Musste ich mich jetzt als Clown verkleiden und mit drei Bällen jonglieren, oder konnte ich auch einfach nur ein paar Witze erzählen?
Geiles Pärchen: Super! Wir werden uns mit euch in ca. 5 Minuten verbinden. Wir freuen uns schon!
Vegasrippchen: Ok. Ich mich auch! Worauf eigentlich genau?
Geiles Pärchen: Auf alles, was Spaß macht.
Vegasrippchen: Wie schön!
Ich schaltete den Drucker an und suchte hastig nach meinen lustigsten Kurzgeschichten. Vielleicht würden sie dem geilen Pärchen gefallen. Welch eine willkommene Ablenkung! Ich machte mir eine kurze Notiz, auf jeden Fall den Witz mit dem Mann einzuwerfen, der sich die Initialien seiner Freundin auf seinen Pillemann tätowieren lassen hatte. Der kam schon seit zwanzig Jahren immer gut an. Mein Rippchen, die sich nun seit einiger Zeit jeden Abend damit beschäftigte, Kopfkissenbezüge zu besticken, rief mir aus dem Wohnzimmer zu:
»Was machst du, Schatz?«
»Ich drucke ein paar lustige Sachen für das geile Pärchen aus.«
»Du machst was?«
»Ich habe Spaß vor der Kamera. Eventuell mache ich eine kleine Lesung. Dann bekomme ich endlich mal sofortiges Feedback für all die harte Arbeit.«
»Du machst was? Mit wem?«
»Spaß vor der Kamera. Mit dem geilen Pärchen. Kannst gerne zuschauen.«
Mein Rippchen betrat meine kleine Schreiberecke mit ihren Stickarbeiten und setzte sich zu mir. »Wer sind diese Leute?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich, die winzige Linse meiner winzigen Kamera polierend. »Sie haben mich einfach angeschrieben. Machen einen netten Eindruck.«
»Und du willst ihnen deine Geschichten vorlesen?«
»Wenn sie unbedingt darauf bestehen wollen ...«
»Lies aber nicht gleich die Geschichte von den Toilettenangewohnheiten deiner Arbeitskollegen vor. Das könnte einen schlechten Eindruck machen.«
»Stimmt. Oh, Schnuckie, ich glaube, es geht los!«
Ein weiteres Fenster öffnete sich auf dem Bildschirm. »Geiles Pärchen requesting connection« stand darin geschrieben. Schnell justierte ich noch einmal die Kamera, ermutigte mein Rippchen, freundlich zu lächeln und ruhig auch zu winken und klickte dann auf »OK«. Sofort war die Verbindung hergestellt. Das letzte Fenster verschwand und ein Neues erschien. Uns bot sich das Bild eines hell beleuchteten Raumes, eindeutig ein Schlafzimmer, da die Bewohner auf der Kante eines großen Bettes saßen; ebenso heiter winkend wie wir und – ganz anders als wir – splitternackt.
Geiles Pärchen: Huhu aus Dortmund!
Mein Rippchen wandte sich verunsichert wieder ihrem Stickrahmen zu und verbockte hintereinander gleich drei wichtige Kreuzstiche.
»Schatz, wir sind viel zu früh bei denen reingeplatzt. Die sind ja noch gar nicht angezogen. Leg wieder auf!«
»Aber sie haben uns doch angerufen. Das verstehe ich nicht. Vielleicht haben sie Probleme mit ihrer Kamera und ihnen ist gar nicht bewusst, dass sie komplett im Bild sind?«
»Ist mir schnuppe, was die für Probleme haben. Und hör' endlich auf zu winken!«
Geiles Pärchen: Könnt ihr uns sehen?
Vegasrippchen: Ja. Sehr gut sogar. SEHR GUT!
»Das war'n Wink mit dem Zaunpfahl, Schnuckie. Entweder werden sie gleich von selbst auflegen oder die Kamera neu positionieren.«
Geiles Pärchen: Das freut uns. Wir können euch auch gut sehen.
Vegasrippchen: Ja schon, aber wir sehen euch viel besser! VIEL BESSER!
»Himmel, sie kapieren es nicht!«
Geiles Pärchen: Hmmmmmmmm! Schon geil, was? Jetzt seid ihr aber dran.
Mittlerweile war ich mir nicht mehr so sicher, wie und in was wir da hinein geschlittert waren. Instinktiv schlug ich die Beine übereinander und mein Rippchen knöpfte sich die Bluse bis zur Kehle zu.
Vegasrippchen: Was sollen wir euch denn zeigen?
Geiles Pärchen: Na, vielleicht mal etwas mehr von der Dame?
»Leg sofort auf!«, befahl mir mein Rippchen ungehalten. »Das sind Perverse! Ich unterhalte mich nicht mit wildfremden Internetflitzern.«
»Nun sei doch nicht gleich so ruppig. Ich kann ja auch nichts dafür. Ich dachte, mit 'geil' meinten sie einfach nur ›gut drauf‹.«
»Gar nichts hast du dir gedacht! Du wolltest wie immer nur deine Kurzgeschichten an den Mann bringen. Und jetzt bist du eingeschnappt, weil niemand Bock auf deinen Schwachsinn hat.«
Geiles Pärchen: Kommt da noch etwas?
»Meinen Schwachsinn? Ich dachte, du liebst meine Kurzgeschichten ...«
»Ach ja? Schonmal was von ehelichen Pflichten gehört? Ich erfülle meine sehr gut. Da lese ich mir auch hin und wieder die kleinen Einblicke in unser Privatleben durch, ohne mich gleich darüber zu beschweren, dass du mich andauernd als eine bekloppte Furie darstellst. Ich zwinge mich sogar zu lachen. Das mache ich aus Liebe, mein Guter. Aus Liebe! Für solche abartigen Spielchen bin ich jedoch nicht zu haben.«
Geiles Pärchen: Was ist denn nun? Wir sind schon ganz heiß!
Vegasrippchen: Hier ist es im Moment auch ziemlich heiß.
»Aber ich doch auch nicht, Schnuckie. Ich doch auch nicht!«
Es war vergebens. Die bekloppte Furie warf erbost ihr Hobby zu Boden und entfernte sich stampfend aus meiner Schreiberecke. Der Abend, nein, die Woche war gelaufen.
Geiles Pärchen: Zeig uns endlich etwas von deinem geilen Weib!
Vegasrippchen: Ok.
Der Situation überdrüssig geworden, hielt ich den Stickrahmen meines Rippchens in die Kamera.
Vegasrippchen: Schönes Motiv, oder? Da arbeitet sie jetzt schon fast 'ne Woche dran. Aber ich kann euch auch einen Witz von einem tätowierten Mann erzählen.
Geiles Pärchen: Lutscht Milcheis, ihr Penner!
In der Kolumne »Splitternackt um Mitternacht« können Sie lesen, wie es weitergeht.
Diese Kolumne finden Sie auch in Michael Meyns 2007 erschienenem Buch »Vegas, Schnuckie!«.
Seit Mitte 2011 ist »Vegas, Schnuckie!« endlich auch zum Beispiel bei buecher.de als Ebook erhältlich!