Zum ersten Teil dieser Kolumne
»Sex und Sandwich«, verriet eine Stimme im Radio den Zuhörern. »Mehr braucht es nicht, um einen Mann glücklich zu machen.« Dr. Laura Schlessinger, Amerikas Anlaufstelle Nummer eins in Sachen Moral und Ehefragen, hatte gesprochen und ich trat wütend aufs Gaspedal. Der Arbeitstag war lang und anstrengend gewesen und nun musste ich mir auf dem Heimweg auch noch anhören, wir Männer seien einfach gestrickte Wesen. Ich mag nicht von Frauen analysiert werden. Schon gar nicht, wenn sie recht haben.
Sex und Sandwich. Seit sich mein Rippchen von mir auf unbestimmte Zeit verabschiedet hatte, ging mir beides ab. Die Zubereitung eines echten, amerikanischen Sandwichs ist nämlich extrem aufwendig, und Sex mit mir selbst hatte einen eher befremdlichen Effekt, was aber auch daran lag, dass Wulfgäng ständig daneben hockte und mich begeistert anfeuerte. Herrje, ich vermisste mein Rippchen!
»Wir Frauen sind viieeel komplizierter!«, ließ mich Dr. Laura wissen. »Und auch launischer. Ein Mann muss enormes Feingefühl haben, um seine Frau zufrieden stellen zu können. Die meisten Männer sind damit einfach überfordert.« Es reichte mir. Ich würgte der Trulla den Ton ab und fuhr die nächstgelegene Shopping Mall an. Mein Rippchen sollte ihren Supercomputer für ihr dämliches Spiel Everquest bekommen. Als Gegenleistung würde ich mein Sandwich einfordern. Und Sex! In einem Computerfachhandel schnappte ich mir einen verschwitzten Verkäufer, dem ich mit meiner Kreditkarte kühle Luft ins Gesicht fächelte. Barsch verlangte ich: »Make my day!« In Windeseile stellte er mir alle Komponenten zusammen, die für problemfreies Online-Gaming notwendig waren. Zusätzlich drehte er mir noch eine Art Versicherungspolice an. Hechelnd erklärte er, dass ich nun gegen alle Eventualitäten abgesichert sei. Danach war er völlig überhitzt hinter der Kasse eingeknickt.
Zuhause installierte ich das Spiel aller Spiele auf den neuen Rechner. Everquest. Eine virtuelle Welt, in der mein Rippchen als Beatrix Sunchime ihren Aggressionen freien Lauf ließ, mordend durch die Landschaft zog und darüber hinaus ihren Ehemann vernachlässigte. Kopfschüttelnd startete ich das Spiel, weil ich prüfen wollte, ob die teure Grafikkarte funktionierte. Zunächst lief alles einwandfrei. Doch als ich mich als Beatrix Sunchime ins Spiel einloggen wollte, erhielt ich auf dem extrabreiten Monitor die Nachricht, dass dieser Spielcharakter bereits eingeloggt sei. Ich Dussel. Wie konnte ich das vergessen? Mein Rippchen war bei meinem guten Freund und Arbeitskollegen Mike und spielte dort ununterbrochen. Mir wurde jedoch die Option gegeben, einen weiteren Charakter zu erstellen.
Ziemlich gelangweilt klickte ich mich durch die Vorgaben. Ehe ich mich versah, war ich ein Erudite, Hauptberuf Illusionist und trug den Namen Micham Sunchime. Die äußere Erscheinung meiner Spielfigur war borderline abstoßend (groß, Glatze, violette Haut und lange Finger). Zu meiner Ausrüstung gehörten Brot und Wasser, ein kleiner Dolch und ein Zauberspruch, mit dem ich eine Art Feuerball durch die Luft schleudern konnte. Nach einer kurzen Einführung hatte ich mir die wichtigsten Spielfunktionen verinnerlicht und wurde automatisch in die Stadt Qeynos teleportiert. Ich staunte über die mittelalterliche Atmosphäre und die Schönheit der Stadt. Da hatten sich die Macher des Spiels viel Mühe gegeben.
»Hey, no show tonight?«, fragte Wulfgäng im Tonfall tiefster Enttäuschung, weil ich mich noch immer am PC und nicht im Bett aufhielt.
»Verschwinde, du perverses Tier!«
Ein dickes Weib an einem Markstand schickte mich los, Kaffebohnen zu sammeln. »Du findest sie in den blinkenden Sträuchern in Antonica«, erklärte sie mir. »Zur Belohnung erhältst du 20 Kupfermünzen.« Aufgeregt machte ich mich auf die Reise. Mein erstes Quest!
Dass mein Rippchen in dieser eindrucksvollen Landschaft ihrer Mordlust frönte, stimmte mich traurig. Ich nahm mir vor, als Micham den entsprechenden Gegenpol zu bilden. Mein Illusionist würde keiner Seele auch nur ein Haar krümmen. Gut zwei Stunden irrte ich durch Antonica. Doch es gab so viel zu entdecken, dass die Zeit wie im Flug verging. In einem bezaubernden Tal, durch das ein kleines Bächlein floss, stieß ich endlich auf den ersten blinkenden Strauch. Als ich ihn erreichte, stürzte etwas auf mich zu. Ich drehte mich um und sah, wie eine magere Frau mit hysterischem Gesichtsausdruck und langem Schwert mehrmals auf mich einstach. Ihr Name war Holly Windstalker. Ich wollte sie höflich bitten, dies zu unterlassen, da wurde der Bildschirm schwarz. Ein weisser Schriftzug informierte mich: Loading. Please wait ...
Nach meinem Tod war ich sofort zur Stadtgrenze von Qeynos befördert worden. Nun musste ich den ganzen Weg noch einmal laufen. Doch dieser Holly wollte ich meine Meinung geigen. Es dauerte zwanzig Minuten, bis ich an den Ort meines eigenen Todes zurückgekehrt war. Der blinkende Busch war verschwunden. Unweit der nun kargen Stelle stand Holly Windstalker. Bestimmt hatte sie sich die Kaffeebohnen eingeheimst. Die Frau war ja fast so abgezockt wie mein Rippchen!
»Was soll denn das, Holly?«, schrieb ich verärgert, aber auch etwas verwundert in die Chatbox. Wer greift schon einen wehrlosen Menschen an, der gerade über einen Strauch gebeugt nach Kaffeebohnen sucht? Holly Windstalker. Deutlich hörbar zückte sie ihre Klinge und kam schreiend auf mich zugerannt. Ich reagierte panisch, wollte fliehen, klickte jedoch auf die falschen Symbole und machte eine tiefe Verbeugung. Die irre Holly ließ das kalt. Loading. Please wait ...
»Ich habe mächtige Freunde, Holly Windstalker!«, schrie ich durch den gesamten Landstrich. »Ich bin mit einer Level 80 Magierin verheiratet. Sie bewegt sich am Rande des Wahnsinns und ich werde sie bitten, ihre Pets auf dich zu hetzen, wenn du mich nicht endlich in Ruhe lässt! Sie macht das ohne mit der Wimper zu zucken, so blutgeil ist sie!«
Eine Gestalt mit Rattenkopf gesellte sich zu mir.
»Holly wird dir nicht antworten. Sie ist ein NPC.«
»Was ist ein NPC?«, fragte ich aufgeschlossen.
»Ein Non-Player-Character«, sprach der Rattenkopf namens Gnawer. »Holly ist kein Spieler, sondern eine Figur im Spiel.«
»Und warum greift sie ausgerechnet mich an? Ich bin doch völlig harmlos.«
»Sie greift jeden an. Mich hat sie schon mindestens 50 Mal gekillt.«
»Was?!«
»Ja, man kann ihr nicht entkommen. Sie ist ein Geist mit übernatürlichen Fähigkeiten. Schneller als der flinkste Gaul. Zieht rastlos durch Antonica und bringt jeden um, der sich zu dicht an sie heran wagt.«
»Unglaublich!«
»Wem sagst du das? Sie hat mir schon so manchen Abend versaut, das kann ich dir sagen.«
»Was kann man gegen sie unternehmen?«
»Nix. Allein bist du machtlos. Um sie zu töten, brauchst du mindestens fünf oder sechs Verbündete.«
»Aber sie ist doch schon tot! Außerdem ist mir an Gewalt nicht gelegen.«
Gnawer hielt sich den Bauch vor Lachen. »Na, da hast du dir ja das richtige Spiel ausgesucht. Viel Glück!«
»Vielleicht kann man ihren Geist erlösen? Dahinter steckt doch bestimmt auch ein kniffliges Quest, oder?«
»Nicht, dass ich wüsste. Holly muss getötet werden. Die Schlampe hat es verdient. Mein Schulpsychologe ist derselben Meinung. Er hasst Holly Windstalker!«
So langsam wurde mir der Spieler, der sich hinter der Gestalt mit dem Rattenkopf verbarg, unsympathisch. Er erinnerte mich zu sehr an mein Rippchen. Auch sie hatte immer das passende Argument für einen Mord parat, anstatt Konflikte auf friedliche Weise zu lösen. Wenn man vom Teufel spricht, ruft er an:
»Wie sieht's aus?«, fragte mein Rippchen.
»Wie sieht was aus?«
»Wann kaufst du den PC?«
»Schwer zu sagen, Schnuckie.«
Aus einem mir unerklärlichen Grund beschloss ich, die Überraschung noch etwas hinauszuschieben. Sex und Sandwich konnten warten. Ohne ein weiteres Wort legte sie auf. Beim Blick auf die Uhr erschrak ich. Ich klinkte mich aus dem Spiel aus und ging schlafen.
In der folgenden Woche zog ich jeden Abend los und suchte blinkende Sträucher in Antonica. Die 20 Kupfermünzen des fetten Marktweibs wollte ich mir nicht entgehen lassen. Einmal hatte ich Glück und fand einen Strauch nahe eines tosenden Wasserfalls. Fliegende Fische hüpften verspielt durch die Luft. Doch die Idylle konnte mich nicht täuschen. Holly Windstalker lauerte bestimmt im Hinterhalt. Vorsichtig robbte ich mich ans Ziel und inspizierte den Strauch. Anstatt Kaffeebohnen fand ich ein paar Karotten. Seltsame Logik, dachte ich. Wachsen Karotten nicht in der Erde? Während ich darüber reflektierte, flog ein Fisch in mein Gesicht und biss meine Nase ab. Es folgte ein weiterer und gleich darauf etwa zweihundert. Loading. Please wait ...
Mächtig angepisst ließ ich an der Stadtgrenze ein bildhübsches Einhorn in Flammen aufgehen. Sogleich kam ein Spieler in Gestalt eines Gnoms auf mich zugeeilt. Er beschimpfte mich aufs fürchterlichste, weil er seit drei Tagen hinter einem Felsbrocken kauernd auf das Einhorn gewartet hatte. »Jetzt muss ich nochmal drei Tage hier abhängen«, schrieb er mir im Chatfenster. »Ich könnte kotzen!« Damit mir die Schwere meines Vergehens auch wirklich bewusst war, wiederholte er in Großbuchstaben: »KOTZEN!!!« Verlegen scharrte ich mit einem Fuß in der glühenden Asche des äußerst seltenen Fabeltieres und bot dem kleinen Schreihals zur Versöhnung ein Bündel Karotten an. Das reichte ihm nicht. Er wollte meinen Kopf. Den wollte ich ihm nicht geben und so verschwand er zeternd hinter seinem Felsbrocken.
Kaffeebohnen. Irgendwo mussten diese verdammten Dinger doch zu finden sein. Grübelnd drehte ich mich in alle Richtungen und blickte plötzlich in das Gesicht einer betörend schönen Dame im pompösen Gewand.
»Ich weiß, wer du bist, Micham«, sprach sie. Erschrocken warf ich meine Karotten zu Boden. Vor mir stand Beatrix Sunchime. Sie erhob die Arme zu einem Zauberspruch. Funken sprühten um sie herum und alsbald materialisierte sich eines ihrer berüchtigten Pets.
»You're fucked!«, schnurrte Wulfgäng, die das Geschehen mit großem Interesse verfolgte.
Das Pet war größer als ein zweistöckiges Haus. Es schaute bedrohlich auf mich herab, schnaufte und stampfte ungeduldig mit den Füßen, dass der Boden bebte. Eilig analysierte ich den Ernst der Lage. Ein Spurt schien mir hier angebracht. Ich rannte los. Hinter mir hörte ich das Pet trampeln. Mein Herz raste. Meine Füße auch. Dann klingelte das Telefon.
»Bleib stehen, du Ochse! Ich will dich töten!«, schrie mir mein Rippchen ins Ohr.
»Schnuckie, ich will doch nichts weiter als ein paar Kaffeebohnen ...«
Das Pet packte mich am Hals und schleuderte mich über einen Berg. Ich landete vor einem Grabstein. ›Hier ruht Holly Windstalker‹, las ich. »Und ich gleich daneben«, konnte ich gerade noch röcheln.
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